Während die Bundesregierung auf mehr Zurückweisungen drängt, verweigert Polen die Rücknahme zweier illegal eingereister Migranten. Der Vorfall offenbart nicht nur die Lücken europäischer Regelwerke – sondern auch den diplomatischen Stillstand zwischen Berlin und Warschau.
Ein Bahngleis, zwei Länder – und keine Lösung
Montagmorgen in Guben, Brandenburg. Zwei Männer überqueren die Eisenbahnbrücke aus Polen, betreten deutsches Staatsgebiet, geben sich als Asylsuchende zu erkennen.
Der Fall scheint eindeutig: laut Bundesregierung eine klassische „Zurückschiebung“ – also eine Rückführung an der Grenze, weil die Einreise ohne Erlaubnis erfolgte. Nur: Der polnische Grenzschutz macht nicht mit.
Die Beamten lehnen ab. Keine Rücknahme, keine Erklärung, keine Wiederholung. Die Bundespolizisten bringen die Migranten nach Eisenhüttenstadt in die nächste Aufnahmeeinrichtung. Das Verfahren läuft weiter – aber in Deutschland.
Was zunächst wie ein Einzelfall wirkt, ist längst ein strukturelles Problem: Die Zurückweisung an EU-Binnengrenzen funktioniert nicht mehr, weil Nachbarstaaten wie Polen zunehmend auf ihre Souveränität pochen – oder sich schlicht verweigern.
Polens Haltung: Formal korrekt – politisch kalkuliert
Warschau beruft sich auf das Dublin-Abkommen. Demnach ist das Land für das Asylverfahren zuständig, in dem der Antragsteller zuerst EU-Boden betreten hat. Deutschland hingegen versucht, direkte Rückführungen an der Grenze zu beschleunigen, ohne das volle Dublin-Verfahren durchzuexerzieren.
Dass Polen diese Interpretation nicht mitträgt, überrascht kaum. Die nationalkonservative Regierung in Warschau lehnt jegliche Form von „Verteilung“ von Migranten innerhalb der EU ab – auch solche, die sie selbst betreffen würden.
Dass die polnischen Behörden ihre Ablehnung nicht detailliert begründen, passt zum politischen Kurs: die Grenze dicht halten, Verantwortung abwehren.
Der Streit um diesen Fall zeigt, wie brüchig die europäische Migrationsarchitektur geworden ist – vor allem dann, wenn kein Land mehr bereit ist, den ersten Schritt zu machen.

Berlin setzt auf Symbolik – und neue Zahlen
Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) versucht derweil, Härte zu zeigen. Bei einem Besuch an der österreichischen Grenze verkündete er: 739 Zurückweisungen in nur sieben Tagen, darunter 32 Asylgesuche. Zahlen, die als Erfolg verkauft werden – aber wenig über das tatsächliche Ausmaß aussagen.
Tatsächlich hat Dobrindt per Weisung dafür gesorgt, dass selbst Asylsuchende zurückgewiesen werden können, wenn sie aus einem als „sicher“ eingestuften Drittstaat einreisen.
Das betrifft viele Menschen, die über Österreich oder Tschechien nach Deutschland kommen. Doch die Praxis hängt am guten Willen der Nachbarn – und der ist brüchig.
Polen war in dieser Woche nicht willens. Die Bundespolizei verweist darauf, dass Rückführungen immer auch auf Zustimmung des Ziellands angewiesen sind. Im Fall Guben blieb die aus.
Ein europäisches Regelwerk – ohne europäische Einigkeit
Der Fall Guben zeigt, wie dysfunktional das Dublin-System längst geworden ist. Ursprünglich gedacht als Ordnungsrahmen für Asylverfahren innerhalb der EU, ist es heute ein juristisches Minenfeld, das von Mitgliedstaaten nach Belieben ausgelegt oder schlicht ignoriert wird.
Deutschland sieht sich in der Pflicht, Dublin konsequenter umzusetzen. Polen hingegen nutzt die Schlupflöcher des Systems, um Rückführungen zu verweigern – gerade wenn die politische Stimmung ohnehin gegen eine engere EU-Zusammenarbeit in Migrationsfragen steht.
Kein Einzelfall – sondern ein Vorgeschmack
Die Bundespolizei betont zwar, dass es sich nicht um ein neuartiges Ereignis handelt. Doch solche „Verweigerungen im Einzelfall“ häufen sich – und sind Symptom eines tieferliegenden Problems: Nationale Interessen haben längst Vorrang vor europäischer Solidarität.
Was bleibt, ist eine Migrationspolitik im Flickenteppichmodus: Zahlen, die beruhigen sollen. Verfahren, die nicht greifen. Und Nachbarn, die nicht mitziehen.
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