Neue Daten des Office for National Statistics (ONS) verdeutlichen einen Rückgang der Lebensstandards in Großbritannien, da das reale BIP pro Kopf zwischen April und Juni um 0,3 % im Vergleich zum Vorjahr schrumpfte. Diese Entwicklung wird auf einen starken Anstieg der Nettozuwanderung zurückgeführt, die nahezu rekordhohe 685.000 im letzten Jahr erreichte und damit die wirtschaftlichen Gewinne nivelliert.
Experten machen darauf aufmerksam, dass die Bevölkerung schneller wächst als die Wirtschaft, was die Herausforderungen für Finanzministerin Rachel Reeves vor ihrem ersten Haushalt unterstreicht. Paul Dales, Chefökonom für Großbritannien bei Capital Economics, betont, dass das Wachstum der Bevölkerung fast ausschließlich auf die hohen Zuwanderungsraten zurückzuführen ist. Somit verbessern sich die Lebensstandards kaum, da das gestiegene BIP lediglich mehr Menschen verteilt ist, aber pro Kopf oder Haushalt kein zusätzliches Einkommen generiert wird.
Die Belastung der Lebensstandards fällt deutlicher aus, als das ONS ursprünglich angenommen hatte, da vorher ein Rückgang von nur 0,1 % geschätzt wurde. Der rapide Anstieg der Bevölkerung in England und Wales in den Jahren nach Covid ist der höchste in den letzten 75 Jahren.
Der Druck auf die Regierung, die Einwanderung einzudämmen, wächst, insbesondere da die Wähler dies als eines der drängendsten Probleme neben der Wirtschaft ansehen. Migration war auch ein zentrales Thema auf der Konferenz der Konservativen Partei in Birmingham, wo Robert Jenrick, der Spitzenkandidat für das Parteiführungsrennen, betonte, dass Großbritannien die Migration "in den Griff bekommen" müsse.
Allerdings warnt Paul Dales, dass restriktive Einwanderungspolitiken die fragile wirtschaftliche Erholung gefährden könnten. Ein wachsender Arbeitsmarkt sei notwendig, um das Wirtschaftswachstum zu stützen, was auch durch Einwanderung erreicht werden müsse, so Dales. Dies sei besonders relevant, da die Labour Party den Wohnungsbau ankurbeln wolle und hierfür ausreichend Bauarbeiter benötige.
Sonja Laud, Chief Investment Officer bei Legal & General Investment Management, betont, dass Regierungen weltweit ein Gleichgewicht finden müssen zwischen Wirtschaftswachstum und der Reaktion auf den wachsenden Widerstand gegen Einwanderung. Bevölkerungswachstum durch Einwanderung sei essenziell für Produktivitätssteigerungen, die durch Investitionen gefördert werden müssen, um die längerfristige Wachstumsdynamik zu ändern.
Diese Entwicklungen werden vor dem Hintergrund wachsender Erfolge rechter Parteien in Europa, wie der Freiheitlichen Partei in Österreich und der AfD in Deutschland, analysiert. Auch innerhalb Großbritanniens gibt es deutliche Signale für Unzufriedenheit in der Bevölkerung, was sich in den Wahlergebnissen widerspiegelt.
Das ONS hat das BIP-Wachstum des Vereinigten Königreichs für 2023 von 0,1 % auf 0,3 % angehoben, dennoch bleibt Großbritannien die zweitlangsamste wachsende G7-Nation seit der Pandemie. Im Vergleich dazu hat die US-Wirtschaft um 10,7 % zugelegt.