09. Mai, 2025

Politik

Dobrindts Kurswechsel an der Grenze – Deutschland schließt die Scheunentore

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hebt Merkels Asyl-Ausnahme von 2015 auf. Fortan sollen selbst Asylsuchende bei illegaler Einreise konsequent zurückgewiesen werden – ein innenpolitisches Signal mit europäischer Sprengkraft.

Dobrindts Kurswechsel an der Grenze – Deutschland schließt die Scheunentore
Fast zehn Jahre nach der informellen Grenzöffnung 2015 widerruft Innenminister Dobrindt erstmals schriftlich die damalige Ausnahmeanweisung – nach insgesamt 3.533 Tagen.

Das Ende der stillschweigenden Praxis

Keine 48 Stunden im Amt – und schon fällt eine der symbolträchtigsten Altlasten der Ära Merkel: Alexander Dobrindt, neuer Bundesinnenminister und CSU-Veteran, hat die Grenzregelung aus dem Spätsommer 2015 formell widerrufen.

Damit endet eine Praxis, die fast zehn Jahre lang galt – obwohl sie rechtlich nie richtig fixiert wurde. Künftig gilt: Wer illegal einreist, wird zurückgewiesen – auch dann, wenn er oder sie einen Asylantrag stellen will.

Was politisch wie ein Verwaltungsakt aussieht, ist in Wahrheit ein Richtungswechsel. Dobrindt setzt ein Zeichen – an die Union, die Ampel, das Ausland. Die Botschaft: Die Zeit der offenen Flanken ist vorbei.

Von der Ausnahme zur Regel – und zurück

Die ursprüngliche Anweisung aus dem Jahr 2015 war ein Notbehelf in einer historischen Ausnahmesituation: Im Zuge der Flüchtlingskrise trafen innerhalb weniger Wochen Zehntausende Menschen an den deutschen Grenzen ein.

Die damalige Regierung entschied, Asylsuchenden auch ohne gültige Papiere die Einreise zu gewähren – obwohl das Dublin-Abkommen und nationale Regelungen eine Zurückweisung in sogenannte sichere Drittstaaten vorsehen.

Diese Praxis wurde über Jahre hinweg stillschweigend fortgeführt. Dobrindt beendet sie nun explizit – und legt damit eine neue Lesart des geltenden Rechts nahe: Wer aus Polen, Österreich, der Schweiz oder anderen sicheren Nachbarländern kommt, hat keinen Anspruch auf Einreise – auch nicht bei Asylbegehren.

Deutschland ist ausschließlich von sicheren Drittstaaten umgeben – laut Dublin-Verordnung müsste eine Einreise zur Asylbeantragung daher in der Regel abgelehnt werden.

Die Polizei bekommt Rückendeckung – und Verstärkung

Laut Innenministerium soll die Bundespolizei ab sofort alle illegalen Einreisen unterbinden – an sämtlichen Landgrenzen. Dafür werden zusätzliche 2.000 bis 3.000 Beamte mobilisiert.

Bereits heute sind rund 11.000 Kräfte im Einsatz. Die Maßnahme richtet sich ausdrücklich nicht nur gegen Schleuser und kriminelle Netzwerke – sondern auch gegen „normale“ irreguläre Grenzübertritte.

Ob das flächendeckend möglich ist, bleibt offen. Die AfD konterte prompt mit einem Video, das einen unkontrollierten Übergang bei Gubin (Polen) zeigt. Die Regierung, so der Vorwurf, verspreche Härte – setze sie aber nicht durch. Tatsächlich gibt es an den Grenzen mehr als 700 Übergänge, viele davon kaum kontrollierbar.

Macron applaudiert – Brüssel schweigt

Rückenwind bekommt Dobrindt aus Paris. Emmanuel Macron lobte den Schritt öffentlich und sprach von einem „wichtigen Ziel“, das er mit Kanzler Merz teile. Der französische Präsident weiß, dass eine restriktive Migrationspolitik auch in Frankreich auf Zustimmung trifft – selbst jenseits rechter Wählerschichten.

In Brüssel hingegen reagiert man zurückhaltend. Die EU-Kommission hatte zuletzt versucht, das gemeinsame europäische Asylsystem zu reformieren – mit bislang überschaubarem Erfolg. Dobrindts Alleingang passt nur bedingt zur Idee eines solidarischen Systems. Noch hält sich die Kritik zurück. Doch wie lange?

Rechtslage: klarer als die Praxis

Juristisch gesehen war Dobrindts Schritt längst möglich – vielleicht sogar überfällig. Deutschland ist vollständig von sicheren Drittstaaten umgeben. Das Asylrecht verpflichtet laut EU-Verordnung zur Prüfung im ersten sicheren Land. Auch das Bundesverfassungsgericht hat nie klargestellt, dass Deutschland bei jeder Asyläußerung zwingend einreisen lassen muss.

Warum wurde die Praxis dennoch fortgeführt? Aus humanitären Gründen – und weil kein Minister den politischen Preis für eine Richtungsänderung zahlen wollte. Dobrindt scheint bereit, ihn zu zahlen.

Politisch aufgeladen – rechtlich gedeckt

Die CSU verkauft den Vorstoß als überfällige Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit. Die Opposition sieht darin einen Tabubruch. Grünen-nahe Stimmen sprechen von einer „Aushöhlung des Asylrechts“, die Linkspartei von „Abschottung“. Gleichzeitig zeigen Umfragen seit Jahren: Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich stärkere Kontrollen.

Der Fall ist ein Lehrstück über das Spannungsfeld zwischen rechtlichem Rahmen, politischem Willen und öffentlichem Klima. Und über die Dynamik eines Themas, das in Deutschland nie wirklich zur Ruhe gekommen ist.

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