19. Mai, 2025

Politik

Christian Lindner, der Friedrich Merz der FDP

Christian Lindner, der Friedrich Merz der FDP
Christian Lindner verlässt die FDP-Führung nach über elf Jahren – und hinterlässt eine Partei, die wieder aus dem Bundestag geflogen ist. Sein politisches Comeback ist dennoch nicht ausgeschlossen.

Auftritt, Applaus, Abgang. Christian Lindner, lange das Gesicht der Freien Demokraten, verlässt die politische Bühne. Der Parteitag in Berlin wird sein letztes großes Solo.

Keine Körperschaft der Welt ist so sehr auf Selbstinszenierung angewiesen wie die FDP, und keiner hat das so souverän beherrscht wie er: Lindner, der Mann für das große Zitat, das kleine Pathos, die große Pose. Jetzt ist Schluss. Zumindest vorerst.

Der stille Abgang eines Lautsprechers

Mit 46 Jahren sagt Christian Lindner Adieu zur aktiven Politik. Für einen Mann, der sich über Jahre hinweg als Hoffnungsträger der Marktwirtschaft, als stilistischer Erneuerer und überzeugter Ordnungspolitiker in Szene setzte, wirkt dieser Abschied beinahe leise.

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Doch es wäre naiv zu glauben, dass damit wirklich Schluss ist. Wer Lindner kennt, weiß: Das Mikrofon legt er nicht aus der Hand, er sucht sich nur eine andere Bühne.

Die FDP, die er 2013 als Vorsitzender übernahm, war damals am Boden. Raus aus dem Bundestag, die Spenden versiegt, das Personal zerstritten. Lindner war das letzte Mittel. Und er hat geliefert: Re-Entry 2017, Finanzminister 2021. Und dann: der Absturz 2025.

Von der Baby-Pause zum philosophierenden Vater

In den Wochen nach der Wahlniederlage war Lindner abgetaucht. Keine Talkshows, keine Kommentare. Stattdessen: Vaterfreuden. Es ist sein erstes Kind, und plötzlich wirkt der ewige Youngster der FDP fast altersweise.

Als er sich wieder meldet, ist es mit einem Video: Spaziergang im Wald, Vögel zwitschern, Lindner sinniert über Platons Höhlengleichnis. Spätestens hier ist klar: Der Mann will nicht nur reden, er will gedacht werden.

Die neue Karriere: reden, schreiben, philosophieren

Offiziell beginnt Lindners neues Leben als "freischaffender Redner" und Autor. Wien, Zürich, Sofia – dort soll er demnächst auftreten. Die Bundesregierung hat keine Einwände.

Nach der Wahlniederlage inszeniert sich Lindner als nachdenklicher Vater und Intellektueller – bleibt dabei aber unübersehbar auf mediale Wirkung bedacht.

Von einem Wechsel in die Wirtschaft, etwa zu einem Private-Equity-Haus, wie zwischenzeitlich spekuliert wurde, ist keine Rede mehr. Stattdessen ein gepflegter Seitenlinien-Auftritt als frei flottierender Ordnungspolitiker.

Die Ähnlichkeit zum Karriereverlauf eines anderen liegt auf der Hand: Friedrich Merz. Auch der hatte sich nach einer krachenden Wahlniederlage zurückgezogen, war Berater, Redner, Buchautor – und kehrte Jahre später zurück. Heute ist Merz Kanzler. Lindner, der sich selbst für den besseren Denker hält, wäre zumindest gern das bessere Comeback.

Projektionsfläche für Unternehmer und Meckerrentner

Wie Merz könnte auch Lindner zur Projektionsfläche einer überforderten Leistungsgesellschaft werden: als intellektueller Populist, als Leitfigur für Unternehmer und Steuerzahler, denen der Zeitgeist zu woke, die Politik zu links, die Steuern zu hoch sind.

Titelvorschläge für ein erstes Buch gibt es zuhauf: "Mehr Kapitalismus wagen" oder "Der Preis der Freiheit" – das klingt schon nach SPIEGEL-Bestseller.

Der Hund, der Mini und das Problem mit dem Bild

Doch Lindner muss aufpassen. Der mediale Beifang ist ihm auch im Abschied nicht gewogen. Jüngst hat er auf einem Berliner Parkplatz einen Hund überfahren. Kein Porsche, sondern ein Mini.

Keine Absicht, sondern ein Unfall. Dennoch: Die Schlagzeile steht. Und sie tut weh. Der Brummbrumm-Liberale Lindner überfährt einen Vierbeiner – das bleibt hängen.

Alles erreicht, aber noch nicht fertig

Lindner hat das erreicht, was für einen FDP-Politiker möglich ist: Parteichef, Bundestag, Ministeramt. Doch fertig ist er nicht. Sein neues Ziel ist weniger das Kanzleramt – das bleibt auch für ihn ein Traum – als vielmehr die Rolle des intellektuellen Gewissens einer entzauberten bürgerlichen Mitte.

Wenn Friedrich Merz heute regiert, dann auch, weil er Jahre zuvor nie ganz weg war. Christian Lindner geht. Aber er bleibt. Das ist kein Abschied. Es ist nur der Soundcheck.

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