Chemieriese auf Schrumpfkurs
Wacker-Chef Christian Hartel klang nicht alarmistisch – aber auch nicht beschwichtigend. In seinem nüchternen Statement zur gesenkten Jahresprognose blieb wenig Raum für Optimismus:
„Ausschlaggebend für unsere reduzierten Erwartungen sind die anhaltenden makroökonomischen und geopolitischen Unsicherheiten, die eine schwache Nachfrage unserer Kunden in zahlreichen Anwenderbranchen nach sich ziehen.“
So weit, so sachlich. Doch die Zahlen, die der Münchner Konzern am Freitag vorlegte, deuten auf etwas Tieferes hin: ein strukturelles Problem, das nicht nur Wacker betrifft, sondern die gesamte deutsche Industrie.
Gewinnwarnung mit Ansage
Statt der ursprünglich anvisierten 700 bis 900 Millionen Euro erwartet Wacker Chemie für das laufende Geschäftsjahr nur noch einen Gewinn zwischen 500 und 700 Millionen Euro – ein Rückgang von bis zu 44 Prozent im Vergleich zum oberen Rand der bisherigen Prognose.
Auch der Umsatz wurde zusammengestrichen: Statt 6,1 bis 6,4 Milliarden Euro sollen es nun nur noch 5,5 bis 5,9 Milliarden Euro werden. Für ein Unternehmen mit weltweiter Präsenz und breitem Kundenportfolio ist das ein deutliches Signal. Besonders bitter: Der Absatz bricht in mehreren Kernbranchen gleichzeitig ein – und aus Asien kommt keine Impulswelle.
Das schwächste Quartal seit Jahren
Im zweiten Quartal sank der Umsatz nach vorläufigen Zahlen auf 1,41 Milliarden Euro – ein Rückgang um knapp 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Noch schwerer wiegt jedoch der Einbruch beim operativen Ergebnis: Das EBIT fiel von 155 auf nur noch 114 Millionen Euro.
Das ist das niedrigste Quartalsergebnis seit der Corona-Delle 2020. Und im Gegensatz zu damals gibt es heute keine schnelle V-förmige Erholung in Sicht.
Der Preis der Globalisierung
Wacker leidet – wie viele andere – unter dem Zusammenspiel aus lahmendem Welthandel, gedämpfter Investitionstätigkeit in der Industrie, hohen Energiepreisen und schwachen Impulsen aus China.
Die Halbleiterindustrie fährt ihre Lagerbestände herunter, die Bauindustrie stagniert – insbesondere in Europa. Die Nachfrage nach Silikonen, Polymeren und Halbleitermaterialien, die Wacker weltweit liefert, ist vielerorts eingebrochen.
Hinzu kommen währungsbedingte Belastungen: Der starke Euro gegenüber Währungen wie dem Yen oder dem Yuan macht deutsche Exporte zusätzlich unattraktiv. „Die Wechselkurseffekte spüren wir deutlich in Asien“, hieß es aus Konzernkreisen gegenüber der InvestmentWeek. Für ein globales Geschäft wie das von Wacker ist das ein handfester Nachteil.
Kein Einzelfall – aber ein frühes Warnsignal
Wacker ist kein Sonderfall. BASF, Evonik, Lanxess – sie alle kämpfen mit ähnlichen Problemen. Doch während andere Konzerne ihre Prognosen (noch) halten, zieht Wacker frühzeitig die Reißleine. Das macht die aktuelle Warnung besonders brisant: Der Münchner Konzern galt lange als besonders robust – dank starkem Spezialchemiegeschäft, konservativer Bilanz und breiter Kundenbasis.
Dass nun selbst Wacker die eigenen Ziele nach unten korrigiert, spricht für den Ernst der Lage. „Eine Erholung ist bislang nicht erkennbar“, sagt Hartel. Eine bemerkenswert ehrliche Aussage in einem Umfeld, das oft lieber Durchhalteparolen verbreitet.
Der nächste Schub? Noch nicht in Sicht
Auch mittelfristig bleibt unklar, woher die Impulse für eine Wende kommen sollen. Der chinesische Markt – einst Wachstumsanker – steckt selbst in einer strukturellen Transformation.
Die Halbleiterindustrie, einer von Wackers wichtigsten Absatzmärkten, ist zwar langfristig intakt, aber aktuell von Überkapazitäten, geopolitischen Unsicherheiten und US-Sanktionen betroffen. Und in Europa? Die konjunkturelle Dynamik ist schwach, Investitionen bleiben auf niedrigem Niveau, insbesondere im Bausektor.
Anleger bleiben erstaunlich ruhig
Bemerkenswert ist: Der Kapitalmarkt reagierte bislang vergleichsweise gelassen auf die gesenkte Prognose. Ein Grund: Die Schwäche war von vielen Analysten bereits antizipiert worden. Und: Wackers Kurs-Gewinn-Verhältnis ist inzwischen auf historisch moderate Niveaus gefallen – ein Teil des Rückschlags scheint also bereits eingepreist.
Doch langfristige Investoren sollten genau hinschauen: Die strukturellen Belastungen der Chemiebranche – von Energiepolitik bis Deglobalisierung – dürften nicht mit einem Quartalsbericht verschwinden. Wacker liefert dafür derzeit ein Lehrstück.
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