Ein riskanter Vorstoß in ein umkämpftes Feld
Sanofi meint es ernst mit dem Impfstoffgeschäft. Mit der Übernahme des britischen Biotechunternehmens Vicebio für 1,15 Milliarden Dollar – plus bis zu 450 Millionen an möglichen Meilensteinzahlungen – setzt der französische Pharmakonzern auf ein riskantes, aber potenziell lukratives Spielfeld: Atemwegsviren.
Besonders im Visier: das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) und das humane Metapneumovirus (hMPV). Beide gelten als weit verbreitet, hochinfektiös und gefährlich – vor allem für Säuglinge, ältere Menschen und immungeschwächte Patienten.
Mit Vicebio kauft Sanofi nicht etwa ein marktreifes Produkt, sondern eine Plattform. Genauer: eine Technologie zur Entwicklung neuartiger Impfstoffe – plus einen Impfstoffkandidaten in einer frühen klinischen Testphase.
Wer die Branche kennt, weiß: Solche Deals sind Wetten auf die Zukunft. Mal gehen sie auf. Oft nicht.
Ein Milliardenmarkt mit Nebenwirkungen
RSV ist kein Nischenthema. Weltweit verursacht das Virus jährlich Millionen Infektionen – und wird zunehmend als systemrelevantes Gesundheitsproblem wahrgenommen.
Allein in den USA sollen über 170.000 Krankenhausaufenthalte bei älteren Erwachsenen auf RSV zurückzuführen sein. Schätzungen zufolge beläuft sich das Marktpotenzial für RSV-Impfstoffe auf bis zu 10 Milliarden Dollar jährlich.
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Doch Sanofi ist nicht allein. Pfizer, Moderna und GSK sind mit eigenen RSV-Präparaten bereits im Rennen – teilweise mit ersten Zulassungen in der Tasche. Sanofi dagegen hat bislang nur eine passive Immunisierung für Säuglinge auf dem Markt (Beyfortus, gemeinsam mit AstraZeneca) – und hinkt bei klassischen Impfstoffen deutlich hinterher.
Vicebio soll diesen Rückstand verkleinern. Die Briten arbeiten an einem Impfstoff, der nicht nur RSV, sondern gleichzeitig auch hMPV bekämpfen könnte. Beide Erreger ähneln sich strukturell, und Vicebio setzt auf sogenannte "gefestigte Präfusionsantigene" – ein technologischer Kniff, der die Immunantwort deutlich stärken soll. Der Ansatz gilt als vielversprechend, ist aber noch nicht im Wirkbetrieb bewiesen.
Warum Sanofi aufholen muss
Dass Sanofi aufrüstet, kommt nicht von ungefähr. Die Franzosen hatten in der Corona-Pandemie mit ihrem eigenen mRNA-Impfstoff deutlich zu spät geliefert. Während BioNTech und Moderna Milliarden verdienten, blieb Sanofi außen vor.
Auch das Vertrauen in die hauseigene Impfstoffsparte bröckelte – intern wie extern. Vorstandschef Paul Hudson hat das Geschäft zur Chefsache erklärt. Die Vicebio-Übernahme ist bereits der zweite Vorstoß in diesem Jahr, nachdem Sanofi Anfang 2025 einen Technologie-Deal mit dem US-Unternehmen Novavax eingegangen war.
Das Kalkül ist klar: Wer technologisch mitreden will, muss früh investieren – und Risiken eingehen. Vicebio bietet zwar keinen sicheren Erfolg, aber die Chance, in einem strategisch wichtigen Wachstumsfeld wieder Anschluss zu finden.
Ein Deal mit Signalwirkung
Die Transaktion ist nicht nur finanziell bedeutsam – sie zeigt auch, wie sehr sich das Pharmageschäft in Richtung präventiver Medizin verschiebt. Impfstoffe gelten heute nicht mehr nur als gesellschaftliche Pflichtaufgabe, sondern als hochattraktives Wachstumssegment. Investoren sehen sie zunehmend als margenstarkes Gegengewicht zu klassischen Blockbuster-Medikamenten.
Für Sanofi könnte Vicebio also mehr sein als nur ein Zukauf – nämlich ein Befreiungsschlag. Ob er gelingt, hängt von klinischen Studien, regulatorischer Zustimmung und dem Wettlauf mit der Konkurrenz ab. In der Biotechbranche gibt es selten zweite Chancen.
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