Schwache Zahlen, starker Kurs – ein Paradoxon mit System
Eine Milliarden-Abschreibung klingt nach einer Katastrophenmeldung. Wenn ein Öl- und Gaskonzern wie BP ankündigt, zwischen 500 Millionen und 1,5 Milliarden US-Dollar im zweiten Quartal wertberichtigen zu müssen – nach Steuern wohlgemerkt – zuckt der Markt normalerweise nicht mit den Schultern. Doch genau das passiert: Die Aktie des Energieriesen legt zu. Anleger kaufen. Analysten bleiben gelassen.
Was ist da los?
Die Ursache: Fallende Preise, sinkende Erwartungen
Hinter der angekündigten Wertberichtigung stehen keine dramatischen Betriebsprobleme, sondern vor allem ein: der Preisrückgang bei Öl und Gas. BP nennt die sinkenden Erlöse explizit als Grund für die Neubewertung.
Allein die rückläufigen Ölpreise sollen das Ergebnis um bis zu 800 Millionen Dollar belasten, die Gaspreise könnten weitere 300 Millionen Dollar kosten.
Hinzu kommen bilanziell-technische Korrekturen. Wer langfristige Reserven oder Explorationsprojekte in der Bilanz führt, muss deren Wert regelmäßig überprüfen – und gegebenenfalls nach unten korrigieren. Genau das passiert jetzt.
Operativ läuft’s – aber die Buchwerte schmelzen
Gleichzeitig meldet BP: Die Produktion im sogenannten Upstream-Geschäft sei im Vergleich zum ersten Quartal gestiegen. Heißt: BP fördert wieder mehr Öl und Gas. Doch was nützen höhere Fördermengen, wenn die Preise an den Märkten fallen? Die Folge: Höhere Volumen, geringere Margen – und weniger Ertrag pro Barrel.
Trotzdem betont das Unternehmen: Die operativen Kennzahlen – also das, was das tägliche Geschäft betrifft – seien davon kaum betroffen. Es handelt sich in erster Linie um bilanzielle Korrekturen, keine realen Geldabflüsse.
Die Börse sieht: Das ist eingepreist
Warum steigt die Aktie also? Ein Händler bringt es auf den Punkt: „Das schlägt nicht auf die operativen Kennzahlen durch, aber Neubewertungen nach unten sind nie gute Nachrichten.“
Und dennoch: Die Börse hatte Schlimmeres erwartet. Das untere Ende der prognostizierten Wertberichtigung liegt bei 500 Millionen Dollar – eine Größenordnung, die ein Konzern wie BP in einem Quartal verkraften kann.
Zudem ist die Branche aktuell generell unter Druck. ExxonMobil, Chevron, TotalEnergies – sie alle kämpfen mit ähnlichen Effekten. Wer am wenigsten schlecht aussieht, gilt an der Börse schnell als Gewinner.

Übernahmefantasie als Kursstütze
Hinzu kommt ein zweiter Faktor: der alte Übernahme-Mythos. Immer wieder machen Gerüchte die Runde, dass Shell – der britisch-niederländische Rivale – BP übernehmen könnte. Beide Konzerne sind in ähnlichen Märkten aktiv, beide kämpfen mit der Energiewende, beide schreiben Milliarden in der Bilanz um.
Der Gedanke: Wenn BP sich weiter als angeschlagener Riese präsentiert, könnte Shell zugreifen – oder ein anderer Player.
Solche Spekulationen treiben Kurse – selbst wenn sie sich nicht bewahrheiten. Für Anleger bedeutet das: Eine BP-Aktie mit Risikoabschlag und eingebauter Fantasie ist attraktiver als eine langweilige Stagnation.
Ein Konzern im Spagat zwischen fossiler Realität und grüner Rhetorik
Langfristig kämpft BP mit einem strukturellen Problem: Der Konzern muss in einem zunehmend regulierten Markt mit fallenden fossilen Margen überleben – und gleichzeitig Milliarden in erneuerbare Energien investieren. Doch genau dieses Umbauprogramm frisst Kapital und erhöht die Unsicherheit.
Die aktuellen Abschreibungen zeigen, wie volatil das Geschäftsmodell bleibt. Preisrückgänge bei Öl und Gas führen binnen weniger Monate zu Milliardenbewegungen in der Bilanz. Und das, obwohl das physische Geschäft stabil läuft.
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