Chemiebranche in der Rezession
Der Dämpfer kam nicht aus dem Labor, sondern vom Kapitalmarkt: Akzo Nobel hat schwache Zahlen für das zweite Quartal vorgelegt – und prompt ging es für die Aktie am Dienstagvormittag um über fünf Prozent nach unten.
Damit setzt sich eine Serie von Enttäuschungen in der europäischen Chemieindustrie fort. Schon BASF und Covestro hatten ihre Erwartungen zurückgenommen, nun reiht sich auch der niederländische Lack- und Farbenhersteller in die Riege der Zurückruderer ein.
Für Anleger war das kein guter Morgen. Der Kurs rutschte auf das tiefste Niveau seit Anfang Mai. Damit verliert nicht nur Akzo Nobel selbst an Glanz, sondern auch der gesamte Sektor: Der Stoxx Europe 600 Chemicals, der die großen europäischen Chemiewerte abbildet, notiert so tief wie seit April nicht mehr – ein Minus von 8 Prozent in nur fünf Wochen.
Prognose gesenkt, Vertrauen beschädigt
Das Management von Akzo Nobel musste seine Jahresprognose einkassieren. Der Grund? Vor allem ungünstige Währungsbewegungen, so das Unternehmen. Diese Erklärung mag zwar richtig sein – doch am Markt kommt sie nicht gut an.
Analysten hatten bessere Ergebnisse erwartet, unter ihnen auch JPMorgan-Experte Chetan Udeshi. Noch vor Kurzem hatte er die Aktie unter „Positive Catalyst Watch“ gestellt, also mit der Aussicht auf positive Impulse versehen. Jetzt herrscht Katerstimmung.
Dabei war nicht alles schlecht: Das operative Ergebnis (Ebitda) sei laut Akzo Nobel operativ stabil gewesen – wenn man die Währungseffekte herausrechnet. Doch in einem Umfeld, in dem viele Chemiekonzerne mit Preis- und Nachfragedruck kämpfen, reicht ein „eigentlich ganz okay“ nicht mehr aus. Der Markt will Zuversicht. Und die hat Akzo Nobel heute nicht geliefert.
Ein strukturelles Problem der Branche
Die Enttäuschung bei Akzo Nobel ist kein Einzelfall – sie steht stellvertretend für eine ganze Branche im Umbruch.
Die Chemieindustrie, lange einer der stabilen Anker der europäischen Wirtschaft, steht unter Druck: hohe Energiekosten, schwache Nachfrage aus China, eine zögerliche Bauwirtschaft, sinkende Margen – und nun auch noch Währungseffekte, die den Rest erledigen.
Gerade Unternehmen wie Akzo Nobel, die stark exportorientiert sind und in vielen Schwellenländern aktiv, spüren die Turbulenzen an den Devisenmärkten besonders. Die Schwäche des chinesischen Yuan, die Zinsdifferenzen zwischen Eurozone und USA, all das belastet die Kalkulationen.
Was das für Anleger bedeutet
Für Investoren stellt sich die Frage: Ist die Korrektur bei Akzo Nobel nur ein Ausrutscher – oder der Anfang einer längerfristigen Schwächephase? Der Blick auf den Sektor spricht für Letzteres. Der Markt preist derzeit keine schnelle Erholung ein, sondern rechnet mit anhaltendem Gegenwind. Wer hier investiert, braucht Geduld – und gute Nerven.
Ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt: Die fundamentale Lage ist nicht katastrophal, aber fragil. Und das reicht in der aktuellen Stimmung, um Vertrauen zu verlieren. Dass ein Analyst wie Udeshi danebenliegt, verstärkt den Vertrauensschaden zusätzlich – denn wenn selbst die Experten danebenliegen, wie sollen dann Anleger noch Orientierung finden?
Das könnte Sie auch interessieren:
