Die Europäische Kommission wird voraussichtlich erste Maßnahmen für neue Strafverfahren gegen Frankreich, Italien und andere EU-Staaten wegen überhöhter Neuverschuldung ergreifen. In ihrer Frühjahrsprognose, die Mitte Mai veröffentlicht wurde, prognostiziert die Brüsseler Behörde, dass mehrere EU-Länder in diesem Jahr ihre eigenen Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden verletzen werden.
Bei Überschreitung der festgelegten Obergrenzen droht ein Defizitverfahren, welches aufgrund der Corona-Krise und den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine zuletzt ausgesetzt war. Ein eingeleitetes Verfahren zwingt das betroffene Land, Maßnahmen zu ergreifen, um Verschuldung und Defizit zu reduzieren, mit der Absicht, die Stabilität der Eurozone zu sichern und eine solide Haushaltsführung zu fördern.
Zu den statistischen Vorgaben zählt, dass der Schuldenstand eines Mitgliedsstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf und das Finanzierungsdefizit unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen muss. Diese Regeln wurden kürzlich nach jahrelangen Debatten reformiert, doch Kritik bleibt bestehen. Während der Finanzkrise in den 2000er Jahren verstießen rund 20 Staaten, darunter auch Deutschland, gegen diese Vorgaben. Obwohl theoretisch Strafen in Milliardenhöhe möglich sind, wurden diese bisher nie verhängt.
Laut der Prognose der Kommission werden Länder wie Frankreich mit 5,3 Prozent und Italien mit 4,4 Prozent die Defizitgrenze überschreiten. Weitere Länder mit zu hohem Defizit sind Österreich, Belgien, Finnland, Estland, Ungarn, Malta, Polen, Rumänien und die Slowakei. Spanien erreicht genau die Grenze von drei Prozent.
Zur Sicherstellung solider Finanzen muss jedes Land gemeinsam mit der EU-Kommission einen vierjährigen Haushaltsplan erstellen. Unter bestimmten Bedingungen, beispielsweise bei Verpflichtung zu wachstumsfördernden Reformen und Investitionen, kann der Plan auf sieben Jahre ausgeweitet werden. Zudem kann die Kommission bei der Berechnung temporär den Anstieg der Zinszahlungen berücksichtigen.
Die Entscheidung, gegen welches Land ein Defizitverfahren eingeleitet wird, ist teils politisch motiviert. In der Vergangenheit wurden teils auch führende Staaten wie Frankreich und Deutschland zunächst geschont, was auf Kosten der Glaubwürdigkeit des Regelwerks ging.
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber forderte in einem Brief an EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni die gewissenhafte Anwendung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts, trotz politischer Schwierigkeiten und möglicher Widerstände. Es sei wichtig, das Vertrauen in die reformierten Regeln nicht zu untergraben.