30. Oktober, 2025

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Abschiebungen auf Rekordkurs – Türkei führt Liste an, Länder drängen auf Rückführungen nach Syrien und Afghanistan

Deutschland schiebt so viele Menschen ab wie seit Jahren nicht mehr. Allein bis September wurden über 17.600 Personen in ihre Herkunftsländer zurückgebracht – ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Die politischen Fronten verhärten sich, während Kinder und Jugendliche zunehmend betroffen sind.

Abschiebungen auf Rekordkurs – Türkei führt Liste an, Länder drängen auf Rückführungen nach Syrien und Afghanistan
Jeder Fünfte minderjährig: Rund 3.000 Kinder und Jugendliche wurden in den ersten neun Monaten 2025 abgeschoben.

Abschiebungen nehmen deutlich zu

Deutschland verschärft seine Rückführungspolitik. Von Januar bis September dieses Jahres wurden 17.651 Menschen abgeschoben – rund 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die der Neuen Osnabrücker Zeitung und der dpa vorliegt.

Die Zahlen zeigen eine klare Tendenz: Nach Jahren schleppender Rückführungen steigt die Zahl der Abschiebungen deutlich an. Spitzenreiter ist die Türkei, in die allein 1.614 Personen zurückgeführt wurden, gefolgt von Georgien mit 1.379 Fällen. Besonders brisant: Nahezu jede fünfte abgeschobene Person war minderjährig – insgesamt 3.095 Kinder und Jugendliche.

Bundesländer fordern härteres Vorgehen

Die Länder machen Druck. Auf der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz in Mainz forderten sie die Bundesregierung auf, auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder zuzulassen – zunächst für Straftäter und sogenannte Gefährder. Der Beschluss, den Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) maßgeblich vorangetrieben hatte, markiert eine neue Härte im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern.

„Die Entschlossenheit beim Vorgehen gegen irreguläre Migration ist ein Gradmesser für das Vertrauen in den Staat“, heißt es im Papier der Länderchefs. Konkret sollen neue Haftmöglichkeiten geschaffen und leerstehende Kasernen sowie Containerbauten für Ausreisepflichtige genutzt werden.

Die Idee: Wer das Land nicht freiwillig verlässt, soll künftig schneller und konsequenter abgeschoben werden können – notfalls mit Ausreisearrest.

Linke warnt vor Tabubruch

Scharfe Kritik kommt aus der Opposition. Die Linken-Innenpolitikerin Clara Bünger sprach von einem gefährlichen Kurswechsel: „Wenn es darum geht, die Zahl der Abschiebungen in die Höhe zu treiben, kennen die Behörden kaum noch Tabus.“ Besonders die Rückführungen in die Türkei seien „inakzeptabel“, da dort weiterhin politische Gegner und Minderheiten verfolgt würden.

Menschenrechtsorganisationen warnen vor einem Dammbruch. Eine Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Syrien oder Afghanistan wäre ein klarer Bruch mit bisherigen Grundsätzen des Flüchtlingsschutzes – beide Länder gelten als unsicher.

Abschiebungen als politisches Symbol

Die Debatte zeigt, wie stark sich das Thema Migration erneut zum Gradmesser politischer Handlungsfähigkeit entwickelt hat. Nach der Flüchtlingskrise 2015 und den jüngsten Asylzahlen steht die Bundesregierung unter Druck, Härte zu zeigen. Die Zahl der Abschiebungen gilt dabei nicht nur als Verwaltungserfolg – sie ist zum politischen Signal geworden.

Für Dobrindt und Teile der Union steht fest: Eine glaubwürdige Migrationspolitik braucht sichtbare Konsequenzen. Die Ampel-Regierung folgt dieser Linie zunehmend – auch aus Angst vor einem weiteren Rechtsruck.

Zwischen Effizienz und Ethik

Hinter den nüchternen Zahlen stehen menschliche Schicksale: Familien, die getrennt werden, Kinder, die aus Schulen herausgeholt werden, und Menschen, die in Länder zurückmüssen, die sie kaum noch kennen. Zugleich klagen Behörden über fehlende Kooperation vieler Herkunftsstaaten, überlastete Verwaltungsgerichte und unklare Rechtslagen.

Das Dilemma bleibt: Wie lässt sich das Recht auf Asyl mit der Pflicht zur Rückführung in Einklang bringen? Zwischen Rechtsstaatlichkeit und Realpolitik verläuft eine immer dünnere Linie.

Ein Staat auf Bewährung

Deutschland steht an einem Punkt, an dem Migrationspolitik nicht mehr nur Verwaltung, sondern Identitätsfrage ist. Abschiebungen sind dabei zum Symbol geworden – für Kontrolle, Konsequenz, aber auch für den wachsenden moralischen Zwiespalt einer Gesellschaft, die zwischen Humanität und Ordnung ringt.

Die Zahlen aus Berlin sind mehr als Statistik. Sie zeigen, wie ein Land versucht, den Spagat zwischen Empathie und Exekution zu meistern – und dabei Gefahr läuft, beides zu verlieren.

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