Ein Signal der Vorsicht zur Unzeit?
Joachim Nagel will erstmal nichts mehr anfassen. Keine weitere Zinssenkung, kein geldpolitischer Schnellschuss – so lautet die Botschaft des Bundesbank-Präsidenten wenige Tage vor der anstehenden EZB-Sitzung. Stattdessen plädiert er für ein Innehalten. Die Begründung: die geopolitischen Spannungen, insbesondere der eskalierende Zollstreit mit den USA.
„Die wirtschaftlichen Folgen sind kaum absehbar“, sagt Nagel, „in so einer Phase braucht es Stabilität, nicht Aktionismus.“ Die Haltung des obersten deutschen Notenbankers ist deutlich – und sie sendet ein klares Signal in den EZB-Rat: Die Zeit der Zinssenkungen könnte vorbei sein.
Sieben Zinsschritte, zwei Prozent Einlagenzins – und jetzt?
Seit Sommer 2024 hat die Europäische Zentralbank die Zinsen in acht Etappen gesenkt – ein geldpolitisches Comeback der Lockerung, wie man es seit der Corona-Zeit nicht mehr gesehen hatte.
Ziel war, die Konjunktur in einem zunehmend schwächelnden Europa wieder anzukurbeln, ohne die Preisstabilität zu gefährden. Und: Es hat funktioniert. Die Inflation im Euroraum lag im Juni exakt bei 2,0 Prozent – dem offiziellen Zielwert der EZB.
Doch genau hier liegt die geldpolitische Zwickmühle: Was, wenn genau jetzt ein neuer externer Schock kommt?

Zollkonflikt mit den USA: Das Damoklesschwert der Geldpolitik
Die USA planen ab dem 1. August Strafzölle von 30 Prozent auf weite Teile der EU-Importe. Brüssel hat bereits Gegenzölle angekündigt, will aber einen Kompromiss – möglichst vor dem G20-Gipfel in Durban.
Für Nagel ist klar: Ein Zollkonflikt würde Lieferketten, Preise und Investitionen massiv beeinflussen – möglicherweise in beide Richtungen. „Die Unsicherheit belastet bereits die Märkte“, sagt er. Die EZB könne sich unter diesen Bedingungen keine voreiligen Zinsschritte leisten.
Der Haken: Geldpolitik ist langsam. Sie wirkt zeitverzögert. Wer heute falsch steuert, zahlt morgen den Preis.
Zinspause: Notwendig oder riskant?
EZB-Direktorin Isabel Schnabel spricht inzwischen ebenfalls offen von einer Pause. Auch andere Ratsmitglieder wie Boris Vujcic aus Kroatien signalisieren Zurückhaltung. Der Konsens: Erst beobachten, dann handeln. Zumal im September neue Konjunktur- und Inflationsprojektionen veröffentlicht werden – ein möglicher Wendepunkt.
An den Märkten wird das Thema Zinspause längst eingepreist. Auch Analysten wie die UBS rechnen nicht mit einem weiteren Schritt im Juli, sondern frühestens zur Herbstsitzung. Für Nagel ist der September der richtige Moment, um „neu zu bewerten“.

Doch klar ist auch: Wer die Pause jetzt bejubelt, unterschätzt das Risiko eines erneuten Inflationsschubs, etwa durch steigende Importpreise bei Zollkonflikten. Eine zu zögerliche EZB könnte sich schnell auf dem falschen Fuß erwischen lassen.
„Politik der ruhigen Hand“ – oder fehlender Mut?
Nagels Forderung nach „Besonnenheit“ klingt vernünftig – und entspricht dem traditionellen Kurs der Bundesbank, die meist zur geldpolitischen Vorsicht neigt. Doch in einem Umfeld wachsender Unsicherheit kann diese Haltung auch als Zaudern interpretiert werden. Denn eine Eskalation mit den USA könnte binnen Wochen Tatsachen schaffen.
Andererseits: Wer jetzt weiter senkt, verschenkt Munition für echte Krisen. Die EZB hat ihren Handlungsspielraum durch die bisherigen Zinsschritte bereits deutlich eingeschränkt. Jeder weitere Schritt will gut begründet sein.
Der Sommer wird politisch – der Herbst wohl entscheidend
Die Entscheidung für eine Zinspause ist in Wahrheit eine Entscheidung für Zeit: Zeit für neue Daten, Zeit für eine Klärung im Zollkonflikt, Zeit für verlässlichere Inflationsprognosen. Nagel, Schnabel und Co. setzen darauf, dass diese Zeit nicht gegen sie arbeitet.
Ob der Plan aufgeht, entscheidet sich spätestens im September. Bis dahin ist Zurückhaltung angesagt – und vielleicht ein wenig Hoffnung, dass sich wirtschaftliche Vernunft in Washington durchsetzt. Denn sollte es zum Handelskrieg kommen, dürfte eine bloße „Politik der ruhigen Hand“ kaum noch ausreichen.
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