14. Juli, 2025

Politik

Wie die Bundesverfassungsrichterwahl zur Zerreißprobe wurde

Drei Richterposten am Bundesverfassungsgericht sind unbesetzt – nicht wegen fehlender Kandidaten, sondern wegen fehlender Einigung. Was früher unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief, wird heute zum Polit-Drama.

Wie die Bundesverfassungsrichterwahl zur Zerreißprobe wurde
Seit der Reform von 2015 wählt das Plenum des Bundestags die Verfassungsrichter. Das sollte für mehr demokratische Legitimation sorgen – und sorgt nun für die erste offene Blockade in der Geschichte der Richterwahl.

Karlsruhe bleibt besetzt – aber das Vertrauen wackelt

Am Bundesverfassungsgericht arbeitet man weiter. Die drei Richter, deren Amtszeiten eigentlich abgelaufen sind, bleiben vorerst im Dienst. Das ist rechtlich gedeckt, aber politisch ein Offenbarungseid. Denn: Die Nachfolger stehen längst bereit. Nur gewählt wurden sie nicht.

Einmal mehr scheiterte die große Koalition der Verantwortung an sich selbst. Union und SPD konnten sich nicht auf die Nachbesetzung einigen – und das, obwohl das Paket aus drei Namen bereits festgezurrt war: Zwei Vorschläge von der SPD, einer von der Union. Doch dann machte die Union einen Rückzieher – mitten auf der Zielgeraden.

Die Kandidatin, die zur Projektionsfläche wurde

Im Zentrum der Auseinandersetzung: Frauke Brosius-Gersdorf, Juraprofessorin aus Hannover, vorgeschlagen von der SPD. Früher einmal sprach sie sich differenziert zum Thema Abtreibung aus – heute wird sie deswegen öffentlich diskreditiert.

Abgeordnete aus dem konservativen Lager legten sich quer, unter anderem die CDU-Politikerin Saskia Ludwig. Eine breite Zustimmung? Fehlanzeige.

Dass sich die Fachpolitiker der Union zuvor im Richterwahlausschuss auf die Personalie geeinigt hatten, spielte am Ende keine Rolle mehr. Die Fraktionsführung verlor die Kontrolle über die eigenen Leute – und damit das Vertrauen der SPD. In der Koalition herrscht Eiszeit.

Im Bundestag scheiterte die Wahl von drei Verfassungsrichtern an parteiinternem Widerstand. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit kam nicht zustande – erstmals seit Jahrzehnten.

Der Richterwahlausschuss war einmal

Lange galt: Wer durch den Richterwahlausschuss kam, wurde auch vom Bundestag gewählt. Das Verfahren war still, verlässlich und parteiübergreifend. Seit der Reform von 2015 ist das vorbei. Heute entscheidet das Plenum. Mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Demokratischer, aber auch unberechenbarer.

Was früher diskret geregelt wurde, landet nun im Rampenlicht – samt öffentlicher Debatte, Empörung, Moralisierung. Und: Persönliche Haltung zählt plötzlich mehr als juristische Qualifikation. Ob das gut ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Politisierung oder überfällige Transparenz?

SPD und Fachleute warnen vor einer gefährlichen Entwicklung. „Die Richterwahl darf nicht zur Bühne moralpolitischer Kulturkämpfe werden“, sagt die SPD-Abgeordnete Sonja Eichwede. Auch der parlamentarische Geschäftsführer Johannes Fechner sieht die Union in der Pflicht: „Es geht nicht, dass wir immer kompromissbereit sind, und die Union nicht liefert.“

Andere sehen in der neuen Aufmerksamkeit einen Fortschritt. „Das ist auch eine politische Aufwertung des Gerichts“, meint der Verfassungsrechtler Oliver Lepsius. Ein Gericht, über dessen Zusammensetzung öffentlich gestritten wird, zeige schließlich, wie wichtig es für die Gesellschaft ist. Die Frage ist nur: Wie viel Politik verträgt Karlsruhe?

Während das Bundesverfassungsgericht als eine der vertrauenswürdigsten Institutionen Deutschlands gilt, droht die öffentliche Richterwahl das Bild parteiunabhängiger Justiz zu beschädigen.

Was jetzt auf dem Spiel steht

Die Folge ist ein massiver Reputationsschaden – nicht fürs Gericht, sondern für die Politik. Dass Jens Spahn es nicht schaffte, seine Fraktion hinter dem Kompromiss zu versammeln, ist ein Debakel. Ein weiterer Beleg dafür, dass parteiinterne Geschlossenheit bröckelt – und dass die politische Mitte ins Schwanken geraten ist.

Der Versuch, Brosius-Gersdorf nun zu einer persönlichen Vorstellungsrunde in die Unionsfraktion zu bitten, wirkt wie ein Notnagel. Ob das reicht, bleibt offen. Der Imageschaden ist da. Und er könnte wachsen, wenn sich das Verfahren weiter hinzieht.

Ein historischer Bruch mit ungewissem Ausgang

Was bleibt, ist ein neuer Ton. Die Zeiten, in denen Richter still und ohne öffentliche Debatte gewählt wurden, sind vorbei. Der Bundestag hat sich dieses Verfahren selbst gegeben – nun muss er lernen, damit umzugehen. Konsens, so zeigt sich, ist nicht mehr selbstverständlich.

Die nächste Wahlrunde ist für September geplant. Drei Richterposten sind zu besetzen. Drei Chancen, zu zeigen, ob Politik und Verantwortung noch zusammengehen. Oder ob das Bundesverfassungsgericht endgültig zur Bühne für Parteikämpfe wird.

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