Ein Geschäftsmodell am Limit
Über Jahre lockte die Türkei Anleger mit einem simplen Versprechen: satte Zinsen von über 40 Prozent. Wer sich in den USA für 5 Prozent refinanzierte und das Kapital in Lira anlegte, sah enorme Renditen auf dem Papier.
Hedgefonds und Privatanleger sprangen gleichermaßen auf – und machten den Lira-Carry-Trade zu einem der profitabelsten weltweit.
Doch die Rechnung hat eine empfindliche Schwachstelle: den Wechselkurs. Alle Gewinne zerfallen, wenn die Lira schneller abwertet, als die Zinsen sie ausgleichen können. Genau dieses Szenario droht nun. Seit Jahresbeginn hat die Währung über 16 Prozent verloren, zum Euro sogar mehr als 46 Prozent seit Ende 2023.
Die schwindende Glaubwürdigkeit der Zentralbank
Zwar stützt die türkische Notenbank den Wechselkurs mit Interventionen, doch Analysten zweifeln an der Nachhaltigkeit.
„Ohne Kapitalkontrollen wäre die Lira längst deutlich tiefer“, warnt Tatha Ghose von der Commerzbank.
Auch die DZ Bank prognostiziert weitere Zinssenkungen – von derzeit 43 auf 25 Prozent binnen zwölf Monaten – und damit noch stärkeren Abwertungsdruck.
Die Marktteilnehmer erinnern sich an den Frühling: Nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu verlor die Lira binnen Tagen zwölf Prozent. Milliarden an Buchverlusten waren die Folge, bevor die Zentralbank erneut eingriff.
Goldman, Morgan Stanley & Co.: Die Skepsis wächst
Während die Bank of America noch Restchancen für disziplinierte Investoren sieht, warnen Goldman Sachs und Morgan Stanley offen vor den Risiken. Je nach Kursentwicklung könnte der Carry-Trade in kürzester Zeit vom Renditebringer zum Milliardenloch mutieren.

Das Lira-Dilemma: Politische Risiken, fragile Fundamentaldaten und eine Inflationsrate, die weiter im zweistelligen Bereich verharrt, untergraben das Vertrauen der Märkte.
Blick über den Tellerrand
Andere Schwellenländer erscheinen derzeit stabiler. Der brasilianische Real etwa profitiert von 15 Prozent Leitzins und solideren Fundamentaldaten. Viele Strategen sehen hier einen besseren Risiko-Ertrags-Mix.
Beim mexikanischen Peso hingegen ist die Euphorie abgeflaut – sinkende Zinsen und schwache Strukturdaten lassen Investoren vorsichtiger werden.
Hochspannung statt Hochrendite
Der Lira-Carry-Trade steht an einem Wendepunkt. Wer noch investiert, spielt ein riskantes Spiel mit dünner Sicherheitsleine. Solange Ankara an hohen Zinsen und Interventionen festhält, bleibt die Strategie lukrativ – doch jeder politische Fehltritt, jede Zinssenkung könnte das Kartenhaus zum Einsturz bringen. Für viele bleibt nur eine Erkenntnis: Renditeversprechen sind in der Türkei ohne Stabilität nichts wert.
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