Strafgerichtshof im Fadenkreuz
Die USA setzen zum nächsten Schlag gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) an – und diesmal trifft es nicht nur Richter, sondern erstmals auch Staatsanwälte.
Vier namentlich genannte Juristen aus Kanada, Frankreich, Fidschi und dem Senegal wurden am Dienstag auf die Sanktionsliste gesetzt. Ihr Vergehen: Sie wagen es, Ermittlungen gegen Amerikaner und Israelis einzuleiten – ohne deren „Einverständnis“, wie US-Außenminister Marco Rubio betont.
Was wie ein diplomatischer Nebenschauplatz klingt, ist in Wahrheit ein Angriff auf das Fundament internationaler Justiz. Der Strafgerichtshof versteht sich als letzte Instanz bei schwersten Verbrechen: Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Dass die USA – erneut – mit wirtschaftlichem und politischem Druck auf das Gericht reagieren, offenbart, wie wenig Vertrauen Washington in die Unabhängigkeit der Institution hat.
Und es zeigt, dass internationale Strafverfolgung immer auch Machtpolitik bleibt.
Wer nicht mitspielt, wird bestraft
Konkret betroffen von den neuen Maßnahmen sind Kimberly Prost (Kanada), Nicolas Guillou (Frankreich), Nazhat Shameem Khan (Fidschi) und Mame Mandiaye Niang (Senegal). Ihnen wird unterstellt, an Verfahren gegen US-amerikanische und israelische Staatsbürger mitzuwirken – ohne Zustimmung der jeweiligen Staaten.
Das reicht den USA, um finanzielle Sanktionen zu verhängen: Vermögenswerte in den Vereinigten Staaten werden eingefroren, Geschäftsbeziehungen mit US-Personen untersagt.

Einreiseverbote wurden – vorerst – nicht ausgesprochen. Aber das Signal ist deutlich: Wer sich als Richter oder Staatsanwalt mit den falschen Akten befasst, verliert seinen Zugang zum westlichen Finanzsystem.
Der Strafgerichtshof schlägt zurück
In Den Haag reagiert man empört. In einer scharf formulierten Stellungnahme verurteilt der IStGH die US-Maßnahmen als „eklatanten Angriff auf die Unabhängigkeit“ des Gerichts. Das Tribunal handle im Namen von 125 Staaten – darunter allen EU-Mitgliedern – und werde sich auch künftig „nicht von Druck oder Drohungen“ einschüchtern lassen.
Die Institution, 2002 gegründet, gilt als zäh – aber politisch verwundbar. Denn die großen Militärmächte wie China, Russland, Israel und eben die Vereinigten Staaten haben das Römische Statut nie ratifiziert. Der Gerichtshof hat keine Polizei, keine Armee, keine echte Sanktionsmacht. Er ist auf Kooperation angewiesen – und genau die wird ihm jetzt gezielt entzogen.
Netanjahu applaudiert – Europa schweigt
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu begrüßte die US-Entscheidung erwartungsgemäß. Die Maßnahme sei ein „Schritt gegen die verlogene Verleumdungskampagne“ gegen Israel, ließ sein Büro mitteilen.
Was auffällt: Aus Brüssel, Berlin oder Paris kam bislang keine scharfe Reaktion. Dabei zählen die EU-Staaten zu den wichtigsten Unterstützern des Gerichts. Ihr Schweigen lässt tief blicken – in Zeiten geopolitischer Polarisierung scheint selbst das Völkerrecht unter Realpolitik zu geraten.
Trumps Handschrift bleibt sichtbar
Der aktuelle Vorstoß ist keine spontane Aktion Rubios. Bereits im Februar hatte Ex-Präsident Donald Trump per Dekret den Weg für Sanktionen gegen IStGH-Mitarbeitende freigemacht – ein Vorgehen, das in seiner ersten Amtszeit schon einmal zum Einsatz kam. Damals ging es um Ermittlungen gegen US-Soldaten wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Afghanistan.
Joe Biden hatte diese Sanktionen 2021 wieder aufgehoben. Doch die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus hat die Gangart nun wieder verschärft – und sie wirkt nach. Der IStGH steht plötzlich wieder dort, wo er schon einmal stand: am Rand der Weltbühne, angefeindet von jenen, die sich eigentlich zur globalen Rechtsordnung bekennen sollten.
Ein gefährlicher Präzedenzfall
Was bleibt, ist ein Präzedenzfall. Wenn einzelne Staaten gezielt gegen internationale Richter und Staatsanwälte vorgehen, gefährden sie nicht nur konkrete Verfahren, sondern auch das Prinzip einer überstaatlichen Rechtsprechung.
Der IStGH mag schwach erscheinen – doch er ist das letzte Mittel gegen Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen, wenn nationale Justiz versagt.
Indem Washington nun erneut wirtschaftlichen Druck aufbaut, setzt es nicht nur Den Haag unter Druck, sondern das gesamte Prinzip universeller Gerechtigkeit.
Die Entscheidungsträger in Europa, die sich sonst gerne zum Völkerrecht bekennen, stehen jetzt vor einer unangenehmen Frage: Wie viel internationale Justiz will man wirklich – wenn sie auch Verbündete betrifft?
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