Ein friedlicher Morgen in Beirut – mit einem Krieg im Nacken
Sonntag, kurz nach Sonnenaufgang. An der Küstenpromenade Beiruts sieht alles aus wie immer: Jogger drehen ihre Runden, Familien sitzen beim Frühstück am Meer. Doch die Oberfläche trügt.
Nur wenige Stunden zuvor hatten US-Kampfflugzeuge mehrere iranische Atomanlagen bombardiert. Und damit den Druck auf Irans Verbündete in der Region dramatisch erhöht – insbesondere auf die Hisbollah im Libanon.
Eine Miliz im Schatten der Eskalation
Seit Jahrzehnten gilt die Hisbollah als mächtigster nichtstaatlicher Akteur der Region: bewaffnet, politisch verankert, vom Iran finanziert. Doch was die israelische Armee seit Ende 2023 gegen die Gruppe entfesselt hat, hat sie schwer gezeichnet.
Gezielt werden Stellungen, Kommandeure und Waffenlager zerstört. Der Tod ihres langjährigen Führers Hassan Nasrallah durch einen israelischen Luftschlag war ein Schlag ins Herz der Organisation.

Die Angst vor dem eigenen Untergang
„Wenn es Terror gibt, wird es keine Hisbollah mehr geben“, drohte Israels Verteidigungsminister Israel Katz kürzlich. Eine Drohung, die Wirkung zeigt. Zwar schießt die Hisbollah weiterhin vereinzelt Raketen über die Grenze. Doch ein massiver Gegenschlag bleibt aus.
Aus gutem Grund: Laut westlichen Sicherheitsdiensten hat die Miliz bis zu 4000 Kämpfer verloren. Ein GroÚngriff könnte ihr Ende bedeuten – militärisch wie politisch.
Politische Bremsklötze im eigenen Land
Hinzu kommt der zunehmende Widerstand im eigenen Land. Libanons Premier Nawaf Salam warnte offen, der Libanon dürfe unter keinen Umständen in diesen Krieg hineingezogen werden.
Auch Vertreter der christlichen Partei Lebanese Forces und Parlamentspräsident Nabih Berri sprechen sich gegen eine Eskalation aus. Die Hisbollah weiß: Ein Krieg könnte sie nicht nur an der Front schwächen, sondern auch in Beirut entmachten.
Teherans schwankender Rückenhalt
Normalerweise gilt: Wenn der Iran ruft, liefert die Hisbollah. Doch auch in Teheran ist die Lage instabil. Nach gezielten israelischen Angriffen auf militärische Infrastruktur und Führungskreise scheint das Mullah-Regime mit sich selbst beschäftigt.
Ajatollah Chamenei soll sich Berichten zufolge in Bunkern verstecken, potenzielle Nachfolger sind bereits bestimmt. Die Schutzmacht wirkt derzeit selbst überfordert.
Ein Schattennetzwerk ohne Strategie?
Auch die „Achse des Widerstands“ insgesamt wirkt kopflos. Die Huthis im Jemen, Kataib Hisbollah im Irak, Hamas in Gaza – viele Gruppen sehen sich Luftangriffen ausgesetzt, verlieren Strukturen, Einfluss, Kommandeure.
Was einmal als geeinter Block gegen Israel gedacht war, gleicht aktuell einem zersplitterten Gebilde ohne einheitliche Strategie.
Das Spiel mit dem Feuer
Trotz allem: Die Gefahr bleibt. Der neue Hisbollah-Chef Naim Kassim erklärt zwar, man werde "im richtigen Moment" reagieren. Doch was dieser Moment sein soll, bleibt offen.
Klar ist: Jeder weitere Angriff Israels, jeder Funke könnte einen Flächenbrand auslösen. Doch ausgerechnet die am stärksten bewaffnete Miliz im Libanon scheint derzeit das größte Interesse an Zurückhaltung zu haben. Vielleicht, weil sie weiß: Der nächste Fehler könnte ihr letzter sein.
Von Beirut bis Teheran: Die Grenzen der Gewalt
Die Bilder aus Dahieh, der einstigen Hochburg der Hisbollah, sprechen Bände: zerbombte Wohnblocks, Trümmer, Bagger. Porträts des getöteten Nasrallah hängen an bröckelnden Mauern.
Die Miliz hat viele Kriege überlebt. Doch diesmal ist der Preis höher. Und das Kalkül risikoreicher. In der Zentrale von Naim Kassim rechnet man nicht mit einem Sieg – sondern mit dem Erhalt des Überlebens.
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