Leistungswille ist keine Selbstverständlichkeit
Deutschlands Wirtschaft steckt in einer Produktivitätskrise. Während Länder wie Belgien und Österreich längst vorausziehen, stagniert hierzulande die Leistung pro Arbeitsstunde.
Die Reflexe der Wirtschaftsfunktionäre sind bekannt: Weniger Feiertage, mehr Arbeitszeit, höhere Anforderungen. Der Vorstoß von DIHK-Präsident Peter Adrian, den Pfingstmontag zu streichen, ist nur das jüngste Beispiel. Doch die Diagnose greift zu kurz – und die Therapie verfehlt das Herz des Problems.
Eine neue Studie der Arbeitgeberplattform Kununu legt nahe, dass es nicht primär an Urlaubstagen oder Teilzeitquoten liegt. Es fehlt an etwas anderem: echter Wertschätzung für diejenigen, die bleiben.
Loyalität wird nicht gesehen
Laut Kununu fühlen sich 75 Prozent der deutschen Arbeitnehmer stark mit ihrem Unternehmen verbunden, 42 Prozent davon sogar „uneingeschränkt loyal“. Diese Zahlen sind bemerkenswert – gerade im internationalen Vergleich.
Doch fast ebenso viele geben an, dass diese Treue von ihren Arbeitgebern gar nicht wahrgenommen oder schlicht ignoriert wird. Die Folge: Ein wachsender Spalt zwischen gefühlter Bindung und erlebter Unternehmenskultur.
Wer sich nicht gesehen fühlt, zieht sich zurück. Und das zeigt sich nicht nur in Umfragen – sondern zunehmend in der wirtschaftlichen Realität.

Motivation auf dem Rückzug
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hat es kürzlich schwarz auf weiß vorgelegt: Ein Viertel der Arbeitnehmer macht nur noch Dienst nach Vorschrift. Fast 30 Prozent fühlen sich bei der Arbeit gar nicht mehr motiviert.
In der freien Wirtschaft geben nur 17 Prozent an, „hochmotiviert“ zu sein. Mehr Motivation findet man derzeit nur noch im öffentlichen Dienst – ausgerechnet dort, wo kaum Aufstiegsmöglichkeiten locken.
Gleichzeitig beobachten Experten einen Mentalitätswandel bei Berufseinsteigern: Karriere, Aufstieg, Verantwortung – all das wird seltener nachgefragt. Stattdessen rücken politische Haltung, Werte und persönliche Passung in den Vordergrund. Die Arbeit wird zum Projekt, nicht zur Lebensaufgabe.
Der Irrtum der Stabilität
Viele Führungskräfte interpretieren Loyalität noch immer als langfristige Verlässlichkeit – und übersehen, dass sie heute ein anderes Gesicht hat. „Loyalität bedeutet nicht mehr: Ich bleibe. Es bedeutet: Ich will gestalten“, sagt Wolfgang Freibichler, Partner bei Porsche Consulting.
Gerade Leistungsträger wollen mitwirken, verändern, sich einbringen. Wer diesen Impuls übergeht, verliert nicht nur Engagement – sondern am Ende die besten Köpfe. Denn wer sich nicht gebraucht fühlt, schaut sich um. Und geht. Auch ins Ausland. Laut EY können sich 40 Prozent der jungen Fachkräfte vorstellen, Deutschland zu verlassen.
Fehlende Anerkennung – ein unterschätzter Kostenfaktor
Dabei ist der Bedarf an Anerkennung kein romantischer Wunsch, sondern ein wirtschaftlicher Imperativ.
EY-Daten zeigen: 93 Prozent der Angestellten sind stolz auf ihre Arbeit – aber nur 70 Prozent fühlen sich von ihren Vorgesetzten ernsthaft wertgeschätzt. Diese Lücke ist gefährlich. Denn sie zermürbt. Und sie kostet.
Anerkennung ist dabei oft kostenlos – aber eben nicht selbstverständlich. Die Kunst liegt darin, sie ernst zu meinen und konkret zu machen. Ein „weiter so“ im Jahresgespräch genügt nicht. Es braucht echtes Feedback, Aufmerksamkeit, manchmal nur ein ehrliches Interesse am Menschen hinter der Leistung.
Kultur statt Kosmetik
Doch viele Unternehmen setzen lieber auf Programme und PowerPoints als auf Beziehung. Sie schreiben sich Purpose und Wertschätzung auf die Website, ohne sie im Alltag zu leben. Gerade dort, wo es auf enge Zusammenarbeit ankommt – in IT, Forschung, Vertrieb – ist das fatal.
Denn Wertschätzung ist kein Bonus. Sie ist Voraussetzung für Leistung. Wer das übersieht, wird in den kommenden Jahren nicht nur Produktivität verlieren – sondern auch die Menschen, die sie erzeugen.
Weniger Feiertage werden das Problem nicht lösen
Deutschlands Produktivitätskrise ist kein Problem der freien Tage – sondern der inneren Kündigung. Loyalität ist da, überraschend stabil sogar. Doch sie wird übersehen, missverstanden oder schlicht nicht genutzt. Wer glaubt, mit Druck oder Zeitverdichtung mehr aus Menschen herauszuholen, verkennt die Dynamik des modernen Arbeitsmarkts.
Die gute Nachricht: Die Lösung liegt näher, als viele glauben. Sie heißt nicht Effizienz, sondern Beziehung. Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen. Nicht „mehr“, sondern „besser“. Unternehmen, die das erkennen, werden nicht nur produktiver – sondern auch zukunftsfähig.
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