Das wirtschaftliche Umfeld der europäischen Automobilindustrie verschärft sich zusehends. Europas größter Autobauer Volkswagen sieht sich nun gezwungen, drastische Maßnahmen in Erwägung zu ziehen. Diese Erkenntnis mündete in einer deutlichen Mitteilung nach einer Führungskräftetagung, die das Ende einer Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung bis 2029 mit dem Betriebsrat markiert. In dieser Vereinbarung waren betriebsbedingte Kündigungen bisher ausgeschlossen.
Die Sorgen bei Betriebsrat und Gewerkschaft sind groß. Die Arbeitnehmervertreter reagieren entsetzt und kündigen massiven Widerstand an. Diese Maßnahmen werden als "Angriff auf unsere Beschäftigung, Standorte und Tarifverträge" empfunden, wie die Sonderausgabe der Betriebsratszeitung "Mitbestimmen" verdeutlicht. Niedersachsens IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger schloss sich dieser Sichtweise an und bezeichnete die Pläne als "unverantwortlich".
Volkswagen sieht sich mit massiven Kosten konfrontiert und hält in der aktuellen Situation Werkschließungen für unumgänglich, sofern nicht schnell gegengesteuert wird. Konkrete Zahlen und betroffene Standorte nennt der Konzern bislang nicht, jedoch melden sich Arbeitnehmervertreter zu Wort, die mindestens ein Fahrzeugwerk und eine Komponentenfabrik als gefährdet erachten.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, zugleich Mitglied im VW-Aufsichtsrat, äußerte kritische Bedenken und forderte VW auf, alle anderen Möglichkeiten zur Kostensenkung auszuschöpfen, bevor Standorte in Betracht gezogen werden. Die Landesregierung werde ein besonderes Augenmerk auf diese Entwicklungen legen.
Eine Fabrikschließung bei VW wäre ein historisches Ereignis, das es in Deutschland bislang noch nicht gegeben hat. Die letzte internationale Stilllegung eines Werks datiert auf 1988, als die Fabrik in Westmoreland in den USA geschlossen wurde. Aktuell betreibt VW zahlreiche Produktionsstätten innerhalb Deutschlands, darunter Werke in Wolfsburg, Hannover, Emden und weiteren Städten. Zudem überprüft die VW-Tochter Audi derzeit ihr Werk in Brüssel.
Die Unternehmensführung, bestehend aus Konzernchef Oliver Blume und Markenchef Thomas Schäfer, begründet die Maßnahmen mit der zunehmend ernsten Lage auf dem europäischen Automobilmarkt. Die Zielvorgabe, die Ergebnisse bis 2026 um zehn Milliarden Euro zu verbessern, müsse nun mit verschärften Sparmaßnahmen erreicht werden. Es geht um zusätzliche Einsparungen von bis zu vier Milliarden Euro.
Seit dem Amtsantritt von Oliver Blume vor zwei Jahren ist dies der erste ernsthafte Konflikt mit der Arbeitnehmerseite. Anders als sein Vorgänger Herbert Diess hatte Blume bislang eine harmonischere Beziehung zum Betriebsrat gepflegt. Doch die jetzige Zuspitzung erfordert nun direkte Interventionen von ihm, um den drohenden Konflikt zu moderieren. Die Herausforderung bleibt: Die Kernmarke Volkswagen kämpft seit Jahren mit hohen Kosten und bleibt in puncto Rendite hinter anderen Konzernschwestern wie Skoda, Seat und Audi zurück.
Zu den bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Kostenreduktion gehören umfangreiche Programme zur Altersteilzeit und Abfindungen, die zuletzt im Frühjahr nochmals ausgeweitet wurden. Für die Abfindungen von langgedienten Mitarbeitern sind bis zu 474.000 Euro vorgesehen.