Kinder verhungern, weil die Welt nicht hinschaut
In den Lagern Abu Shouk und Zamzam sterben derzeit jeden Tag Kinder. Nicht an Bomben, sondern an Hunger. Und zunehmend auch an Cholera. Im Sudan tobt seit über zwei Jahren ein brutaler Bürgerkrieg – doch was sich inzwischen abspielt, ist mehr als ein innerstaatlicher Konflikt.
Es ist eine humanitäre Katastrophe historischen Ausmaßes. Über 30 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen, mehr als elf Millionen innerhalb des Landes auf der Flucht.
Und dennoch fehlt etwas Entscheidendes: öffentlicher Druck, politische Konsequenz – und internationale Verantwortung.
Der Krieg, den niemand führen will – aber viele befeuern
Während der Westen weitgehend passiv bleibt, mischen andere längst mit. Die Vereinigten Arabischen Emirate liefern Waffen an die RSF-Miliz – laut sudanesischer Armee zuletzt sogar samt kolumbianischer Söldner, die in einem abgeschossenen Flugzeug bei Nyala ums Leben gekommen sein sollen.
Abu Dhabi dementiert, doch Hinweise verdichten sich: Videos, Aussagen ehemaliger Kämpfer, Recherchen des „Africa Report“. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Emirate ausländische Kämpfer anheuern – auch im Jemen setzten sie seit 2015 auf kolumbianische Ex-Militärs.
Mindestens 2.600 Dollar Monatslohn, dazu oft freie Hand bei Plünderungen. In einem Krieg, der zunehmend auf den Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen wird, werden Profit, Gold und geopolitischer Einfluss zu Treibstoffen eines Konflikts, den längst niemand mehr kontrolliert.

Ein Land zerfällt – und niemand greift ein
Die Lage im Westen des Landes ist besonders dramatisch. In El-Fasher, der letzten Hochburg der Armee in Darfur, sind Märkte leer, die Preise explodieren, und in den Lagern fehlt es an allem.
Laut UN verhungerten allein vergangene Woche über 60 Menschen. Gleichzeitig breitet sich die schlimmste Cholera-Epidemie seit Jahren aus: 100.000 Verdachtsfälle, mehr als 2.400 Tote – Tendenz steigend.
„Die Menschen trinken aus kontaminierten Quellen, manchmal aus Brunnen, in denen noch vor Tagen Leichen lagen“, berichtet Tuna Turkmen von Ärzte ohne Grenzen. Es fehle an allem – Medikamenten, Wasser, Personal. Das Leid ist sichtbar. Nur der politische Wille fehlt.
Elf Millionen Binnenvertriebene – und kein Plan
Der Sudan hat mittlerweile mehr Menschen innerhalb der Landesgrenzen verloren als jedes andere Land seit Beginn der UN-Aufzeichnungen. Diese Zahl übertrifft sogar Syrien zur schlimmsten Zeit des dortigen Kriegs.
Viele der Vertriebenen leben in improvisierten Lagern ohne Schutz, ohne Wasser, ohne Perspektive. In Tawila etwa sind über 380.000 Menschen gestrandet – in einer Gegend ohne funktionierende Infrastruktur, ohne Zugang zu medizinischer Hilfe.
Und während die Katastrophe täglich neue Dimensionen erreicht, bleibt der Westen auffällig still.
Warum Europa und die USA (noch) schweigen
Die USA bemühen sich um Vermittlung, doch scheitern an den Realitäten. Die Regierung Trump – inzwischen wieder im Amt – verfolgt eine „transaktionale“ Außenpolitik: Wenn keine unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen berührt sind, bleibt der Einsatz aus. Ein geplatztes Spitzentreffen im Juli zwischen USA, Saudi-Arabien, Ägypten und den Emiraten zeigt: Die politischen Brücken sind brüchig geworden.
Europa wiederum fürchtet einen offenen Konflikt mit den Emiraten – aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch wegen der strategischen Abhängigkeit in Energiefragen.
Bei einer Sudan-Konferenz in London verzichteten Deutschland, Frankreich und Großbritannien sogar darauf, die RSF überhaupt beim Namen zu nennen – obwohl diese kurz zuvor über 1.000 Menschen im Zamzam-Lager ermordet haben soll. „Ein diplomatischer Kniefall“, sagt der Sudan-Experte Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Und ein fatales Signal an alle Beteiligten.
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Die RSF – eine Miliz mit Geschäftsmodell
Was die RSF von anderen Milizen unterscheidet, ist ihre Struktur. Sie funktioniert nicht nur militärisch, sondern wirtschaftlich: Sie kontrolliert Teile des Goldhandels, betreibt Wegzölle, plündert systematisch. Finanziert wird sie offenbar über Netzwerke in den Emiraten – mit stiller Duldung des Westens.
Der Krieg ist längst kein Kampf mehr um politische Macht. Er ist ein Markt. Für Waffen. Für Rohstoffe. Für Söldner. Und solange die Gewinne fließen, ändert sich daran wenig.
Was jetzt auf dem Spiel steht
Der Sudan ist nicht irgendein Staat. Er ist das drittgrößte Land Afrikas, eine geostrategische Brücke zwischen dem Horn von Afrika, Nordafrika und der arabischen Halbinsel. Wenn das Land endgültig kollabiert, werden die Folgen weit über die Region hinausreichen: Fluchtbewegungen, Instabilität, Extremismus. Die Spirale ist in Gang gesetzt – und wird mit jedem Tag schwerer aufzuhalten.
Die eigentliche Tragödie liegt darin, dass es nicht an Informationen mangelt. Sondern an Konsequenz. Das Leid ist dokumentiert, belegbar, sichtbar – auch in westlichen Medien. Doch weder Berlin noch Brüssel, weder Paris noch Washington zeigen bislang den politischen Mut, die Verflechtungen offen zu benennen – oder Verantwortung zu übernehmen.
Das Schweigen ist längst Teil des Problems
Die humanitäre Katastrophe im Sudan ist kein Naturereignis. Sie ist menschengemacht. Sie ist die Folge eines Machtkampfs, den externe Akteure befeuern – und den westliche Staaten aus strategischem Kalkül dulden. Das Schweigen ist nicht neutral. Es ist eine Entscheidung.
Wenn Kinder in Lagern verhungern und an behandelbaren Krankheiten sterben, dann liegt das nicht an fehlender Hilfe. Sondern an fehlendem politischen Willen, sie durchzusetzen.
Und wenn dieser Wille weiter fehlt, wird sich die Geschichte nicht nur wiederholen. Sondern verschärfen.
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