11. Juli, 2025

Krypto

Bitcoin als Geschäftsmodell – Wie Michael Saylor den Finanzmarkt radikalisiert

Immer mehr börsennotierte Firmen verwandeln sich in Bitcoin-Treasury-Companies – und riskieren damit eine spekulative Kettenreaktion. Ist das genial oder brandgefährlich?

Bitcoin als Geschäftsmodell – Wie Michael Saylor den Finanzmarkt radikalisiert
Michael Saylor hat mit Strategy rund 600.000 Bitcoins im Wert von über 65 Milliarden Dollar gekauft – finanziert durch Schulden, Aktienemissionen und hohe Erwartungen. Experten warnen: Das Modell funktioniert nur bei steigenden Kursen.

Der Mann, der Bitcoin zur Unternehmensstrategie machte

Michael Saylor war schon mal ganz oben. Als Tech-Unternehmer mit MicroStrategy ritt er in den 90ern die Dotcom-Welle – bis zur SEC-Ermittlung und dem Absturz. Jetzt ist er zurück. Und größer denn je.

2020 drehte er sein Unternehmen auf links. Statt Software verkauft Strategy heute vor allem eins: Bitcoin-Glaube. 597.325 Coins hält die Firma mittlerweile. Marktwert: rund 65 Milliarden Dollar.

Gekauft mit Kapital, das Saylor über Anleihen, Aktien und clevere Finanzstrukturen einsammelt. Der Bitcoin ist für ihn nicht nur ein Investment. Er ist Religion. Und Geschäftsmodell.

Das neue Spiel: Bitcoin als Schatzkammer

Saylor nennt es einen „Schwarm von Cyber-Hornissen“. Übersetzt heißt das: Firmen kaufen keine Maschinen, keine Patente, keine Firmenanteile. Sie kaufen Coins. Möglichst viele. Möglichst schnell. Damit ist eine neue Gattung börsennotierter Unternehmen entstanden: die Bitcoin Treasury Company – BTC.

2024 kauften börsennotierte Unternehmen über 320.000 Coins, im ersten Halbjahr 2025 kamen 180.000 dazu. Der bekannteste Akteur: Saylors Strategy. Doch der Schwarm wächst. Und die Nachahmer kopieren mehr als nur das Logo.

Ein Schneeballsystem mit Hochglanzlack?

Das Problem: Das Modell funktioniert nur, solange der Bitcoin steigt. Bei Kursen unter 90.000 Dollar wären laut Standard Chartered über die Hälfte der BTCs sofort im Minus.

Ein stärkerer Einbruch könnte zu Notverkäufen führen. Die Logik ist fatal einfach: Wenn der Kurs fällt, müssen Unternehmen verkaufen. Und wenn Unternehmen verkaufen, fällt der Kurs weiter.

Ali Masarwah, Analyst bei Envestor, spricht von einer „spekulativen Symbiose aus Börse und Krypto“. Für ihn ist das Ganze kein klassischer Scam – aber gefährlich. Und zwar systemisch.

Warum Anleger die Aktien trotzdem lieben

Der Trick hinter dem Hype: Die Aktien von BTCs handeln oft über dem Wert der darin enthaltenen Coins. Strategy ist heute an der Börse rund 110 Milliarden Dollar wert – obwohl die Bitcoin-Bestände „nur“ 65 Milliarden wert sind. Anleger zahlen also für die Hoffnung. Und den Hebel.

Denn dieser Aufschlag erlaubt es Strategy, durch neue Aktien mehr Geld einzusammeln, als sie an Bitcoin besitzen. So können sie mit jedem Funding mehr Coins kaufen, als sie „wert“ sind. Das ist kein Zaubertrick. Das ist finanzielle Geometrie – solange der Kurs stimmt.

Der Aktienkurs von Strategy hat sich in einem Jahr mehr als verdoppelt – und hängt fast vollständig an der Entwicklung des Bitcoin. Analysten sprechen von einem hochriskanten Hebelmodell mit Selbstverstärkungseffekt.

Japan, Hongkong, Paris – die Welle rollt

Das Modell zieht Kreise. In Japan hat sich der frühere Billighotelbetreiber Metaplanet zum Bitcoin-Investor gewandelt. 15.555 Coins hält das Unternehmen schon, will bis 2027 auf 210.000 aufstocken. Marktwert der Firma? Viermal so hoch wie der ihrer Coins.

In Europa steigt unter anderem die Blockchain Group aus Frankreich ins Geschäft ein. Die Aktie hat sich seit Jahresbeginn mehr als verfünfzehnfacht. Auch GameStop meldet sich zurück – mit einem Einstieg ins Bitcoin-Geschäft. Wer keine Strategie mehr hat, kauft Bitcoin.

Der Saylor-Plan: 42 Milliarden Eigenkapital, 42 Milliarden Schulden

Mit neuen Aktien, Vorzugsaktien und Anleihen will Saylor insgesamt 84 Milliarden Dollar einsammeln – zur Reinvestition in Bitcoin. Der sogenannte 42/42-Plan ist erst zu 38 Prozent umgesetzt. Das heißt: Es geht noch weiter.

Die Erzählung, die Saylor verkauft, ist einfach: Bitcoin ist das perfekte Geld. Unveränderbar, begrenzt, global. Die Welt sei marode, Fiatgeld zum Scheitern verurteilt. Also her mit den Coins. Und weil nicht jeder sie direkt kaufen will, bietet er den Umweg über die Aktie an.

Zwischen Steuertrick und Anlegerträumerei

Tatsächlich kann der Aktienweg Vorteile haben – etwa steuerlich. In Japan etwa profitieren Investoren über das NISA-Depot. Und: Der Weg über eine Aktie ist bequemer. Kein Wallet, keine Aufbewahrung, kein Technikkram. Einfach Aktie kaufen – fertig.

Aber bequem ist nicht immer günstig: Wer über Strategy investiert, zahlt im Zweifel fast das Doppelte pro Coin. Dafür bekommt er Saylors Versprechen: mehr Coins pro Aktie, jedes Jahr. Strategy meldete zuletzt ein Bitcoin-Yield von 74,3 Prozent. Metaplanet: 129,4 Prozent.

Und wenn der Glaube kippt?

Noch feiern viele Saylor als Visionär. Doch sein Weg ist voller Brüche. Er hat Milliarden verloren, sich zurückgekämpft, neu erfunden. Und er weiß, wie dünn das Eis ist. Schon im Jahr 2000 sagte er über den Absturz seiner Aktie: „Ich hoffe, ich bin nicht der Typ, der 15 Milliarden Dollar die Toilette runtergespült hat.“

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