Die Baustelle ist echt – die Firmen dahinter oft nicht. Schwarzarbeit hat in Deutschland eine neue Qualität erreicht.
Was früher einzelne Verstöße waren, ist heute ein Geschäftsmodell mit System: Hintermänner gründen Scheinunternehmen, kooperieren mit Bau- und Handwerksfirmen und schleusen illegal Beschäftigte in lohnintensive Branchen.
Der Zoll spricht mittlerweile offen von „organisierten Formen der Schwarzarbeit“ – und schlägt Alarm.
Scheinfirmen im Bau: Das neue Geschäftsmodell
Der Präsident der Generalzolldirektion, Armin Rolfink, bringt es auf den Punkt:
„Wir haben es zunehmend mit kriminellen Netzwerken zu tun.“
Gemeint sind Konstruktionen, bei denen scheinbar ordentliche Bau- und Handwerksunternehmen mit dubiosen Subunternehmern zusammenarbeiten, die es in Wahrheit gar nicht gibt – zumindest nicht im klassischen Sinne.
Die Firmen existieren auf dem Papier, werden eigens gegründet, um illegale Arbeitskräfte zu beschäftigen, Sozialabgaben zu umgehen und Rechnungen zu verschleiern.
Die bevorzugten Branchen: Bau, Gebäudereinigung, Logistik. Überall dort, wo Arbeitsintensität hoch und Kontrollen schwer durchführbar sind. Hinzu kommt: Die Gewinnmargen im Baugewerbe sind oft gering – der Anreiz, sich einen illegalen Kostenvorteil zu verschaffen, entsprechend groß.
Die Zahlen: 6,7 Milliarden Euro geschätzt – nach unten offen
Die Schäden für Staat und Sozialsystem sind immens. Der Bundesrechnungshof schätzte den volkswirtschaftlichen Verlust durch Schwarzarbeit bereits 2022 auf rund 6,7 Milliarden Euro jährlich.
Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt – insbesondere wegen der Professionalisierung der Methoden. Verstärkte Zollkontrollen in den vergangenen Jahren haben das Problem zwar sichtbarer gemacht, aber kaum eingedämmt.

Der Zoll setzt laut Rolfink daher auf eine neue Strategie: gezielte Ermittlungen gegen größere Strukturen, statt sich in Einzelfällen zu verzetteln.
„Wenn wir eine dieser Scheinfirmen knacken, fällt oft ein ganzes Netzwerk mit“, sagt er.
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) ist mit knapp 7000 Mitarbeitenden im Einsatz – doch längst nicht überall, wo sie gebraucht würde.
Zusammenarbeit mit ehrlichen Betrieben?
Brisant: Nicht selten kooperieren reguläre Unternehmen bewusst mit den Scheinfirmen – etwa um gesetzliche Vorgaben zu umgehen oder um Aufträge überhaupt noch wirtschaftlich abwickeln zu können.
Der gesetzliche Mindestlohn, steigende Materialkosten und Arbeitskräftemangel setzen Bauunternehmen zunehmend unter Druck. Wer sich den Preiskampf nicht leisten kann, sieht in der Beauftragung vermeintlicher Subunternehmer eine schnelle Lösung – und riskiert dabei nicht nur Bußgelder, sondern den Ruf.
Der Zoll will künftig gezielter auch auf diese Unternehmen zugehen – nicht nur als Kontrolleur, sondern als Gesprächspartner. Ziel ist es, ein Klima zu schaffen, in dem Schwarzarbeit nicht länger als Kavaliersdelikt durchgeht, sondern als das betrachtet wird, was sie ist: organisierte Wirtschaftskriminalität.
Komplexität als Methode – und als Herausforderung
Besonders problematisch: Die Netzwerke operieren oft länderübergreifend, mit Firmengeflechten, Strohmännern und Briefkastenadressen in mehreren EU-Staaten.
Die rechtliche Durchdringung dieser Strukturen ist schwierig. Verfahren ziehen sich über Jahre. Und nicht selten zerschlagen sich die Firmen, bevor sie überhaupt belangt werden können. Neue werden an anderer Stelle gegründet – ein Katz-und-Maus-Spiel.
Ein weiteres Problem: Die Digitalisierung hat die Verschleierung perfektioniert. Rechnungsstellung, Personalführung, selbst Vertragsunterlagen lassen sich heute in Sekundenschnelle manipulieren – vor allem, wenn hinter der Fassade ohnehin kein echtes Unternehmen steckt. Der Zoll setzt deshalb verstärkt auf spezialisierte IT-Forensik und datenbasierte Risikoanalyse.
Der politische Hebel fehlt – noch
Trotz der wachsenden Bedrohung fehlt bislang ein umfassendes politisches Maßnahmenpaket. Zwar gibt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vage Absichtserklärungen, den Zoll zu stärken und Schwarzarbeit besser zu bekämpfen.
Doch in der Praxis fehlt es häufig an Budget, Personal und vor allem an Schnittstellen zwischen den Behörden. Das Bundesfinanzministerium, unter dessen Dach der Zoll operiert, steht dabei zunehmend unter Druck.
Verbände wie der Zentralverband Deutsches Baugewerbe fordern seit Jahren eine Reform der Subunternehmerhaftung und ein nationales Schwarzarbeitsregister. Passiert ist bislang wenig. Dabei ist die Bedrohung real – und längst kein Randphänomen mehr.
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