Die Zahlen sind nüchtern – und zugleich politisch hochexplosiv. Deutschlands Statistikbehörde meldet einen massiven Einbruch bei der Zuwanderung aus Syrien. Seit Anfang des Jahres hat sich die Zahl der neuen Ankünfte nahezu halbiert. Gleichzeitig steigt die Zahl der Rückkehrer so stark wie seit Jahren nicht mehr. Zum ersten Mal seit Beginn der Flüchtlingsbewegung 2015 laufen zwei Linien aufeinander zu: die derjenigen, die kommen – und die derjenigen, die gehen.

Die Trendwende in Zahlen
Von Januar bis September registrierten deutsche Meldebehörden rund 40.000 Zuzüge syrischer Staatsbürger. Im Vorjahreszeitraum waren es noch mehr als 74.600. Ein Rückgang um 46,5 Prozent. Parallel dazu verließ eine wachsende Zahl Syrer das Land: gut 21.800 Menschen – ein Plus von mehr als einem Drittel.
Auch bei den Asylanträgen dreht sich der Trend. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrierte seit Jahresbeginn 19.200 Erstanträge von syrischen Staatsbürgern – ein Minus von 67,1 Prozent. Damit ist die Gruppe zwar weiterhin die größte unter den Asylsuchenden, aber der Druck nimmt ab.
Ein politischer Wendepunkt.
Ein ökonomisches Signal.
Assad gestürzt – und Europa in Erklärungsnot
Der Fall des Assad-Regimes im Dezember 2024 war der geopolitische Wendepunkt, auf den Europa jahrelang gewartet hatte. Was bedeutet Sicherheit? Reicht die Abwesenheit von Krieg? Oder muss ein Land auch wirtschaftlich wieder auf eigenen Beinen stehen können, bevor Menschen zurückgeschickt werden?
Die Bundesregierung spricht zwei Sprachen gleichzeitig.
Außenminister Johann Wadephul warnt nach einem Besuch in Damaskus: Das Land sehe aus wie Deutschland 1945. Ein menschenwürdiges Leben sei „derzeit kaum möglich“.
Bundeskanzler Friedrich Merz hingegen sieht keinen Asylgrund mehr und drängt auf Rückführungen. „Der Bürgerkrieg ist vorbei.“
Damit stehen sich zwei Positionen gegenüber, die sich kaum vereinbaren lassen – und für maximale Unsicherheit sorgen.
Gerichte senden eigene Signale
Mehrere Verwaltungsgerichte entschieden bereits: Syrien gilt als sicher. Das öffnet rechtlich den Weg für Abschiebungen. Politisch ist die Entscheidung brisant. Denn die Rückkehrdebatte verschiebt sich damit von der Frage „ob“ zu „wann und wie“.
Für Investoren und Unternehmen stellt sich dagegen eine andere Frage:
Wie stabil bleibt ein Arbeitsmarkt, der seit Jahren auf Zuwanderung angewiesen ist?
Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt
Vor allem im Bauwesen, in Logistik und Pflege haben syrische Arbeitskräfte Lücken geschlossen, die der deutsche Arbeitsmarkt allein nicht füllen kann. Die demografische Realität bleibt bestehen: Deutschland verliert jedes Jahr netto rund 400.000 Erwerbstätige, wenn Migration ausbleibt.
Wenn weniger kommen und mehr gehen, wird das für Unternehmen spürbar:
– weniger Bewerbungen für geringqualifizierte Jobs
– höhere Lohnkosten in Engpassberufen
– steigender Druck zur Automatisierung
Für ein Land, das seine sozialpolitischen Versprechen auf einer stabilen Erwerbsbasis aufgebaut hat, ist das keine Randnotiz. Migration ist längst ein wirtschaftliches Steuerungsinstrument.
Die Debatte wird härter
Die Rückkehrzahlen steigen, die Zuzüge sinken – und doch bleibt ein entscheidender Punkt: Noch immer kommen mehr Syrer nach Deutschland, als zurückgehen. Die Nettozuwanderung bleibt positiv.
Doch die Story ändert sich.
Nicht mehr Zuwanderung – sondern Rückkehr bestimmt die politische Agenda.
Interessanterweise sind es weniger die Zahlen, die politische Temperatur erzeugen.
Es ist der Bedeutungswandel.


