Kein Geld, kein Wachstum
Europas größte Schwäche in Sachen Tech liegt nicht bei der Forschung. Sondern bei der Finanzierung. Wer als Start-up in Europa skalieren will, landet früher oder später beim US-Kapitalmarkt.
Die Europäische Investitionsbank (EIB) will das ändern – mit einer Finanzoffensive, die in ihrer Größenordnung beispiellos ist: 70 Milliarden Euro bis 2027. Ziel ist, mit öffentlichen Mitteln privates Kapital in den Markt zu ziehen. Der erhoffte Hebel: bis zu 250 Milliarden Euro.

Im Zentrum steht die neue Förderplattform „TechEU“. Sie soll den Wildwuchs aus EU-Programmen, nationaler Förderung und komplizierten Antragsverfahren bündeln – und Gründern sowie Forschern erstmals eine zentrale Anlaufstelle bieten. Die Botschaft: Wer eine Idee hat, muss nicht länger über Brüssel stolpern, um Kapital zu finden.
Europas Rückstand wird nicht kleiner – aber teurer
Die EIB reagiert mit dem neuen Programm auf ein strukturelles Defizit: In Sachen Wagniskapital hängt Europa weit hinter den USA. Laut Daten von Dealroom flossen 2023 in Nordamerika rund 170 Milliarden Dollar in Start-ups – in der EU waren es unter 60 Milliarden. Noch dramatischer: Bei Finanzierungsrunden ab Series B wird es in Europa schnell dünn. Genau hier will „TechEU“ ansetzen.
EIB-Chefin Nadia Calviño spricht vom „größten Innovationspaket, das Europa je gesehen hat“.
Im Interview mit dem Handelsblatt macht sie klar: Es geht nicht nur um Geld, sondern um geopolitische Positionierung. Europa müsse aufhören, seine besten Technologien an ausländische Investoren zu verkaufen – und selbst in der Lage sein, Weltmarktführer zu finanzieren.

Trump als unbeabsichtigter Verbündeter
Die Strategie der EIB hat nicht nur europäische Schwächen im Blick, sondern auch amerikanische Turbulenzen. Die Kürzungen der Trump-Regierung im Wissenschafts- und Forschungssektor treffen renommierte US-Universitäten wie Harvard und MIT.
Wissenschaftler warnen bereits vor einem „Braindrain“. Für Calviño eine seltene Chance:
„Die geopolitische Unsicherheit in den USA könnte Europas Moment sein.“
Internationale Investoren, so Calviño, zeigten verstärkt Interesse an Europa. Man müsse nun Strukturen schaffen, die diesen Kapitalstrom aufnehmen können – nicht in drei Jahren, sondern sofort.
Plattform, Programme, Kapital – und trotzdem Kritik
Die neue Plattform soll 2025 starten, eine Entscheidung des EIB-Gouverneursrats wird im Juni erwartet. Die Richtung ist ambitioniert, doch nicht alle sind überzeugt. Kritiker bemängeln, die EIB sei zu risikoscheu, wenn es um echte Durchbruchsinnovationen gehe.
Mario Draghi hatte die Förderbank 2023 in seinem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas ausdrücklich ermahnt: Ohne Mut zum Risiko bleibe Europa der Juniorpartner im globalen Technologiewettlauf.
Calviño widerspricht – zumindest teilweise. Die Bank sei bereits deutlich risikobereiter als noch vor wenigen Jahren. Die Ausfallquoten blieben trotzdem niedrig.
Und mit TechEU sollen künftig jährlich tausend zusätzliche „EU-Champions“ gefördert werden – über Eigenkapital, Garantien oder Beteiligungen. Die EIB ist schon heute Europas größter Risikokapitalgeber. Doch sie will mehr sein: ein echter Katalysator.
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Bürokratieabbau? Versprochen. Gehalten?
Ein zentrales Versprechen: Geschwindigkeit. Wer heute bei der EIB Förderung beantragt, wartet im Zweifel viele Monate. Künftig, so Calviño, sollen maximal sechs Monate vergehen.
Ob das realistisch ist, bleibt offen – doch die Zusage markiert einen Paradigmenwechsel. Denn bislang galt die Gründlichkeit der EIB als oberstes Gebot. Nun rückt Schnelligkeit nach vorn – ein Zugeständnis an eine Branche, die in Wochen denkt, nicht in Quartalen.
Militär statt Moral?
Auffällig ist auch ein zweiter Fokus: Die EIB öffnet sich zunehmend für Investitionen in Sicherheit und Verteidigung. 22 Militärprojekte befinden sich bereits in der Pipeline.
Drohnen, Raumfahrt, dual-use-Technologien – sie gelten als Treiber für Innovationen, auch im zivilen Sektor. Für eine EU-Bank, die sich lange strikt aus Rüstung raushielt, ist das ein markanter Kurswechsel.
Ob diese Öffnung langfristig politisch akzeptiert bleibt, wird sich zeigen – doch in Zeiten geopolitischer Unsicherheit scheint das Pendel klar Richtung Pragmatismus auszuschlagen.
Europas Jahrhundertchance?
Das Zeitfenster ist eng. Wenn Europa nicht bald eigene Kapitalmärkte stärkt und Technologiefirmen dauerhaft im Binnenmarkt hält, wird es auf absehbare Zeit weder geopolitisch noch ökonomisch ernsthaft mit den USA oder China konkurrieren können.
Mit TechEU und dem 70-Milliarden-Programm unternimmt die EIB nun den Versuch, dieses Narrativ zu durchbrechen. Es ist der mutigste Anlauf seit Jahrzehnten.
Jetzt müssen Worten auch Entscheidungen folgen. Und dann Ergebnisse.
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