Schweden setzt den Rotstift an
In Stockholm präsentierte Sozialministerin Anna Tenje jüngst die härtesten Sozialreformen seit Jahrzehnten. Die Zuschüsse für Arbeitslose sollen sinken, zugleich werden Steuern auf Arbeitseinkommen gesenkt.
Ziel: mehr Menschen in Jobs bringen. Besonders betroffen sind kinderreiche Familien. Ab dem vierten Kind schrumpfen die Zuschüsse um drei Viertel. Alleinerziehende verlieren bis zu 40 Prozent der Unterstützung.
Die Regierung plant außerdem eine Wartezeit für Neuankömmlinge. Wer nach Schweden zieht, soll erst nach fünf Jahren Anspruch auf Leistungen haben. „Es ist nicht verständlich, warum Menschen sofort Zugang zum System bekommen sollten“, sagt Linda Lindberg von den Schwedendemokraten, die den Kurs maßgeblich prägen. Kritiker werfen der Regierung vor, Migranten ins Visier zu nehmen.

Finnlands harte Linie
Auch Helsinki fährt den Sozialstaat zurück. Finanzministerin Riikka Purra steht für einen Sparkurs: Arbeitslose, Studenten und Grundsicherungsempfänger erhalten weniger, Arztbesuche werden teurer, Migranten müssen ihre Integration belegen.
Die Gründe liegen auf der Hand: Finnland ringt mit hoher Arbeitslosigkeit, einer wachsenden Verschuldung und den Kosten des demografischen Wandels. „Wir erleben einen ideologischen Richtungswechsel“, sagt Minna van Gerven, Professorin für Sozialpolitik in Helsinki. „Es geht darum, mit Bedingungen und Sanktionen Druck zu machen.“

Vorbild Dänemark – mit anderem Akzent
Als Leitbild dient das dänische „Flexicurity“-Modell. Dort ist es leicht, Arbeitnehmer zu entlassen, dafür gibt es großzügiges Arbeitslosengeld und Weiterbildungsprogramme.
Der Haken: Der Druck auf Jobsuchende ist hoch, Leistungen werden rasch gekürzt. Schweden und Finnland übernehmen Teile dieses Ansatzes – allerdings mit deutlich härterem Zuschnitt und weniger Absicherung.
Signalwirkung für Berlin
Die Experimente im Norden dürften auch in Deutschland Debatten anheizen. Kanzler Friedrich Merz hat angekündigt, das Bürgergeld abzuschaffen und Arbeitslose stärker in die Pflicht zu nehmen.
„Wir können uns dieses System nicht mehr leisten“, sagte er jüngst. Die nordischen Reformen liefern dafür Anschauungsmaterial – ob als Mahnung oder als Vorbild, bleibt abzuwarten.
Abschied vom Mythos
Was jahrzehntelang als Markenzeichen Nordeuropas galt, steht vor einer Zäsur. Der Wohlfahrtsstaat wird zusammengestrichen, um ökonomischen Druck und gesellschaftliche Erwartungen in Einklang zu bringen.
Für die einen ist es ein notwendiger Kurswechsel, für die anderen ein Angriff auf das soziale Fundament. Klar ist nur: Das einstige Vorbild für halb Europa verabschiedet sich von seiner Rolle – und hinterlässt ein Vakuum in der Debatte über soziale Sicherheit im 21. Jahrhundert.
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