Keine Imagekampagne, keine Ambient-Musik im Brüsseler Zelt kann den Lärm der Trillerpfeifen auf der Wiese in Frankfurt übertönen. Die Botschaft der Bayer-Belegschaft ist klar: „Wir werden kämpfen.“
Doch was da wie ein Streik wirkt, ist längst mehr als das. Es ist ein Aufschrei – gegen eine Entscheidung, die Bayer als Wirtschaftsstandort erschüttert, gegen einen Deal, der nie verdaut wurde, gegen einen Sparkurs, der nicht mehr nur Zahlen streicht, sondern Menschen trifft.
Die teuerste Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte
Als Bayer 2018 Monsanto übernahm, wurde die Fusion als Coup gefeiert. 63 Milliarden Dollar – mehr als Daimler je für Chrysler zahlte, mehr als Volkswagen für MAN, Porsche oder Scania. Was folgen sollte, ist heute ein Fallbeispiel dafür, wie riskant strategische Träume sein können, wenn sie auf juristischen Minenfeldern gebaut werden.
Denn im Paket mit dem Unkrautvernichter Roundup kamen Tausende Klagen in die Bilanz. Mehr als 100.000 Prozesse wurden bereits beigelegt – mit Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe.
Und die Welle ist nicht gebrochen. Ein Ende ist nicht in Sicht, auch wenn Bayer beteuert, das Produkt sei sicher und werde weltweit von Behörden nicht als krebserregend eingestuft. Es hilft nichts: Der Imageschaden sitzt tief, die Rechtsrisiken bleiben unkalkulierbar.
Anderson zieht die Notbremse – mit der Brechstange
CEO Bill Anderson, seit 2023 im Amt, tritt an wie ein Sanierer, der nichts zu verlieren hat. Sein Ziel: Bayer in drei Bereichen schlanker, schneller, profitabler machen.

Sein Problem: Die Zeit läuft ihm davon – sein Vertrag endet 2026. Deshalb greift er nun durch. Anders als seine Vorgänger scheut er nicht den direkten Schnitt ins industrielle Herz Deutschlands.
Der angekündigte Plan: Das traditionsreiche Werk Frankfurt-Höchst mit rund 500 Mitarbeitenden soll bis Ende 2028 komplett geschlossen werden. Ein Novum in der 160-jährigen Konzerngeschichte.
Auch an anderen Standorten wie Dormagen stehen Jobs zur Disposition. Insgesamt rund 7.000 Stellen weltweit sollen 2024 wegfallen – auch im Management.
Zwischen Traktoren und Tränen: Zwei Welten, ein Konzern
Während Bill Anderson in Brüssel auf einer Wiese vor dem EU-Parlament zu Ambient-Klängen von „Effizienz“ und „Innovation“ spricht, stehen in Frankfurt Menschen mit Schildern, die nur eine Botschaft tragen: „Schande“.
Betriebsrätin Marianne Maehl hat die Stimme erhoben – und viele Kollegen hinter sich. „Wir wussten, Monsanto wird der Sargnagel. Jetzt ist er es geworden“, sagt ein Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden will.
Die Gewerkschaft IGBCE hat angekündigt, den Kampf aufzunehmen. Noch sei nichts endgültig, betont Maehl. Ein Gutachten wurde in Auftrag gegeben, um die Wirtschaftlichkeit der Schließung zu überprüfen.
Selbst ein Verkauf des Standorts sei denkbar. Doch selbst unter den Beschäftigten herrscht leiser Zweifel, ob sich der Abwärtstrend noch aufhalten lässt.
Strafzölle, Preisdruck, Investorenfrust
Bayer hat ein weiteres Problem: Die politische Großwetterlage kippt. Donald Trump – zurück auf der weltpolitischen Bühne – droht europäischen Pharmaherstellern mit Strafzöllen und fordert massive Preisnachlässe für Medikamente in den USA, dem mit Abstand wichtigsten Auslandsmarkt von Bayer. 35 Prozent des Konzernumsatzes werden dort erzielt.
Gleichzeitig drängen chinesische Hersteller mit Billig-Pflanzenschutzmitteln auf den Weltmarkt – in einem Tempo, das die Margen in der Agrarsparte kollabieren lässt. Bayer verliert nicht nur Marktanteile, sondern auch seine strategische Ruhe. Wer verteidigt da noch Höchst?
Kritik kommt auch vom Kapitalmarkt
Selbst aus Richtung der Investoren ist die Unruhe spürbar. Ingo Speich von Deka Investment mahnt zur Verantwortung:
„Kurzfristige Einsparungen sind keine Strategie. Standortentscheidungen müssen nachhaltig sein – nicht nur ökonomisch, auch sozial.“
Die Aktie spricht derweil eine eigene Sprache: Seit Jahren im Sinkflug, hat sie sich halbiert. Der Bayer-Konzern ist heute am Kapitalmarkt weniger wert als der Preis, den man einst für Monsanto bezahlte.
Ein Werk schließt, viele Fragen bleiben
Die Entscheidung zur Schließung von Frankfurt-Höchst könnte ein Signal sein – nach innen wie nach außen. Für Bayer ein Risiko: Wer einmal ein ganzes Werk schließt, öffnet die Tür für weitere Kürzungen. Für die deutsche Industrie ein Warnzeichen: Selbst Ikonen wie Bayer ziehen sich zurück, wenn die Mischung aus politischem Risiko, globalem Wettbewerb und strategischem Ballast überhandnimmt.
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