Wachstum mit angezogener Handbremse
Es hätte ein Befreiungsschlag werden sollen – doch er blieb aus. 4.078 Fahrzeuge hat Lucid Motors im vergangenen Quartal ausgeliefert, ein Plus von 46,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auf dem Papier ein solides Wachstum, in der Realität aber eine Enttäuschung. Analysten hatten mit 4.286 Fahrzeugen gerechnet. Die Börse reagierte prompt: Die Aktie fiel nachbörslich um mehrere Prozent.
Der kurzfristige Schub war vor allem einem Ausnahmeeffekt geschuldet: Ende September lief eine staatliche Steuergutschrift von 7.500 Dollar für Elektroautos aus, was zahlreiche Käufer zu einem schnellen Vertragsabschluss bewegte. Lucid nutzte die Gelegenheit, um mit attraktiven Leasingangeboten noch einmal Nachfrage zu generieren – ein künstlicher Effekt, der im kommenden Quartal nicht wiederholbar sein dürfte.
Ein Boom, der keiner ist
Dass Lucid trotz des Rückenwinds hinter den Prognosen zurückbleibt, ist ein Warnsignal. Während Konkurrenten wie Tesla oder Rivian im selben Zeitraum ihre Absatzschätzungen übertrafen, kämpft Lucid weiter mit den immer gleichen Problemen: hohen Preisen, schleppender Produktion und schwacher Markenbekanntheit.
Das Unternehmen hat seine Jahresprognose bereits im August gesenkt und rechnet nur noch mit 18.000 bis 20.000 produzierten Fahrzeugen – weit entfernt von den ehrgeizigen Zielen, die Gründer Peter Rawlinson einst formulierte. Der Traum vom „Tesla-Jäger“ ist damit vorerst ausgeträumt.
Staatshilfe als Geschäftsmodell
Die aktuelle Entwicklung legt ein Grundproblem offen: Lucids Geschäftsmodell steht und fällt mit staatlicher Unterstützung. Ohne Steuervergünstigungen, Förderprogramme und politische Rückenwinde bleibt der Absatz weit hinter den Erwartungen zurück. Der jüngste Verkaufsanstieg ist dafür das deutlichste Indiz.
Dass sich viele Kunden nur wegen auslaufender Subventionen für ein Fahrzeug entschieden haben, zeigt, wie schwer es der Marke fällt, aus eigener Kraft Begehrlichkeit zu erzeugen. Luxus allein verkauft sich nicht mehr – erst recht nicht in einem Markt, der längst von Reichweite, Preis und Ladeinfrastruktur dominiert wird.
Konkurrenz zieht davon
Besonders schmerzhaft für Lucid: Die Konkurrenz zieht weiter davon. Tesla liefert inzwischen mehr als 1,8 Millionen Fahrzeuge pro Jahr aus und steigert kontinuierlich seine Margen. Rivian, lange als ähnlich ambitionierter Herausforderer gestartet, übertraf jüngst ebenfalls die Erwartungen und gilt mittlerweile als der stabilere Player im Segment der Premium-Elektrofahrzeuge.
Lucid dagegen bleibt ein Nischenhersteller mit hohen Kosten und geringer Stückzahl. Selbst wenn die oberen Ziele der Jahresprognose erreicht würden, entspräche das gerade einmal ein Prozent dessen, was Tesla verkauft.

Der Traum vom Luxus-Elektroauto wankt
Lucids ursprüngliche Idee war ehrgeizig: ein technologisch überlegener, luxuriöser E-Autohersteller, der Tesla nicht mit Masse, sondern mit Klasse herausfordert. Doch das Kalkül geht bislang nicht auf. Hohe Preise von weit über 100.000 Dollar, Verzögerungen bei neuen Modellen und eine bislang überschaubare Ladeinfrastruktur lassen den Nimbus verblassen.
Hinzu kommt: Der Luxusmarkt selbst ist härter geworden. Selbst wohlhabende Kunden achten inzwischen stärker auf Preis-Leistung, während Wettbewerber wie Mercedes, Porsche oder BMW mit elektrischen Premium-Modellen aufholen – und auf jahrzehntelange Markenbindung bauen können.
Anleger verlieren die Geduld
Für Investoren wird Lucid Motors damit zunehmend zum Geduldsspiel. Die Aktie notiert heute rund 90 Prozent unter ihrem Höchststand, das Vertrauen vieler Anleger ist erschüttert. Zwar verfügt der Konzern dank der Unterstützung seines Großaktionärs, dem saudi-arabischen Staatsfonds PIF, weiterhin über ausreichend Kapital. Doch ohne einen klaren Weg in Richtung Profitabilität droht der Geduldsfaden zu reißen.
Sollte der erwartete Absatzrückgang im Schlussquartal eintreten, könnte der Druck auf das Management massiv steigen. Noch 2026 wollte Lucid den Sprung in die Gewinnzone schaffen – ein Ziel, das inzwischen zunehmend unrealistisch wirkt.
Vision allein reicht nicht mehr
Lucid Motors ist ein Paradebeispiel für die neue Realität im Elektroautomarkt: Der Hype der Anfangsjahre ist vorbei, die Subventionen laufen aus, der Wettbewerb verschärft sich. Wer bestehen will, muss nicht nur Autos bauen – sondern auch überzeugen, liefern und profitabel wachsen.
Lucid hat bislang nur eines davon geschafft: eine Vision zu verkaufen. Doch die Geduld der Investoren, der Kunden und der Märkte ist endlich. Und ohne echte Trendwende könnte aus dem Tesla-Herausforderer bald ein Übernahmekandidat werden.
