70 ist das neue 67
Dänemark hat entschieden: Wer ab 1971 geboren wurde, soll künftig bis zum Alter von 70 arbeiten – und zwar flächendeckend. Das Gesetz, das vergangene Woche in Kopenhagen verabschiedet wurde, markiert einen europäischen Spitzenwert.
Kein anderes Land verlangt von seinen Arbeitnehmern ein so spätes Eintrittsalter in die Rente.
Die Entscheidung basiert auf einem Automatismus: Die Regelaltersgrenze steigt in Dänemark seit Jahren schrittweise mit der Lebenserwartung. Jetzt ist bei 70 Schluss – zumindest vorerst.
Und Deutschland? Hält offiziell an der Rente mit 67 fest. Doch wie lange noch?
Der Druck steigt – nicht nur aus dem Norden
Auch hierzulande warnen Ökonomen seit Jahren: Das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung ist angesichts des demografischen Wandels nicht zukunftsfähig.
Die geburtenstarken Jahrgänge gehen bald in Rente, die Zahl der Einzahler schrumpft – mathematisch eine tickende Zeitbombe.
Die Wirtschaftsweisen forderten schon 2022, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Politisch wollte das damals keiner hören. Doch die Realität lässt sich nicht dauerhaft vertagen.
Dänemark liefert nun ein Referenzmodell – ein Land mit vergleichbarer Wirtschaftskraft, aber größerem politischen Mut zur Unbequemlichkeit.

Arbeiten bis 70 – und was ist mit Dachdeckern?
Die Grundsatzfrage bleibt: Wie realistisch ist ein Renteneintritt mit 70 für körperlich arbeitende Menschen? In der Debatte um die Rente mit 67 wurde dieses Argument bereits prominent geführt – Pflegekräfte, Bauarbeiter, Verkäuferinnen.
Wer körperlich arbeitet, hat meist keine Aussicht auf ein gesundes Erwerbsleben bis 70. Und doch würde gerade diese Gruppe unter einer späteren Altersgrenze überproportional leiden – während Bürojobs mit flexiblen Arbeitsmodellen und Frühverrentungsoptionen deutlich mehr Gestaltungsspielraum bieten.
In Dänemark wird dieses Problem durch staatliche Frührentenmodelle abgefedert. In Deutschland fehlen solche Korrektive bislang flächendeckend.
Reformen, die nie kamen – und ein System, das wankt
Der Reformstau im deutschen Rentensystem ist chronisch. Ob Riester, Rürup, Aktienrente oder Bürgerfonds – jede Regierung kündigte Lösungen an, doch umgesetzt wurde wenig. Die letzte große Rentenreform stammt aus einer Zeit, in der Smartphones noch als Innovation galten.
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Nun steht das System unter enormem finanziellem Druck. Allein 2024 musste der Bund mehr als 120 Milliarden Euro in die Rentenkasse zuschießen – Tendenz steigend.
In dieser Gemengelage wirkt die dänische Entscheidung wie ein Weckruf – unbequem, aber konsequent.
Rentenpolitik in Deutschland: taktisch statt strategisch
Die neue schwarz-rote Bundesregierung gibt sich betont zurückhaltend. Der Koalitionsvertrag schließt eine Anhebung über 67 explizit aus. Stattdessen will man das „Weiterarbeiten im Alter“ attraktiver gestalten.
Steuerfreie Hinzuverdienste, flexiblere Übergänge, mehr Anerkennung für lange Versicherungszeiten – das klingt besser als „Pflicht bis 70“, löst aber das strukturelle Problem nicht.
Gleichzeitig stoßen andere Reformideen auf heftigen Widerstand. Der Vorschlag von Arbeitsministerin Bärbel Bas, auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung zu integrieren, wurde parteiübergreifend abgelehnt. Das Signal: Strukturveränderungen sind nicht erwünscht – zumindest nicht im Wahljahr.
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