Verteidigung ja, Rückkehr nein
Es ist das erste Mal seit dem Brexit, dass Vertreter der EU und Großbritanniens wieder an einem gemeinsamen Verhandlungstisch auf britischem Boden sitzen – mit offizieller Agenda, hochkarätiger Besetzung und geostrategischem Gewicht. Der Ton ist freundlich, das Umfeld nervös.
Der russische Krieg gegen die Ukraine hat Europas sicherheitspolitisches Denken verändert. London und Brüssel wissen: Sie brauchen einander. Doch wie eng darf Kooperation werden, ohne die politischen Wunden der Vergangenheit wieder aufzureißen?
Im Zentrum der Gespräche steht der milliardenschwere EU-Rüstungsfonds „SAFE“ – Security Action for Europe –, der bis 2027 mit bis zu 150 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Großbritannien will mitmachen. Doch Brüssel zögert.
SAFE – ein Fond für Europa, aber nicht für alle
Das SAFE-Programm soll Europas industrielle Basis in der Verteidigung stärken, gemeinsame Projekte fördern und die Abhängigkeit von US-Lieferketten verringern.
Teilnahmeberechtigt sind bislang nur EU-Staaten und Länder des Europäischen Wirtschaftsraums. Großbritannien steht außen vor – obwohl es das drittgrößte Verteidigungsbudget innerhalb der NATO stellt und in der Ukraine-Koalition eine führende Rolle übernimmt.
Für Premierminister Keir Starmer ist klar: London will nicht nur sicherheitspolitisch mitreden, sondern auch industriell mitverdienen. „Verteidigung ohne britische Technologie ist realitätsfern“, heißt es aus Regierungskreisen.

Tatsächlich sind britische Unternehmen wie BAE Systems, Rolls-Royce Defence oder Thales UK in vielen europäischen Projekten längst involviert – formell aber ohne privilegierten Zugang zu SAFE-Mitteln.
Brüssel zögert – aus Prinzip und aus Vorsicht
Auf EU-Seite sieht man die Lage differenziert. Einerseits könnte ein Zugang britischer Firmen die Verteidigungsprojekte beschleunigen und technologisch bereichern.
Andererseits besteht die Sorge, dass der nächste Regierungswechsel in London das neue Bündnis wieder infrage stellt. Ein dauerhafter SAFE-Zugang ohne politische Garantien gilt als riskant.
Sicherheitsexperte Nick Witney vom ECFR empfiehlt daher eine projektbezogene Zusammenarbeit: „Kooperieren ja – aber bitte mit Sicherheitsventil.“ Auch Ursula von der Leyens Team will verhindern, dass die EU-Tür geöffnet wird, nur damit ein künftiger Premier sie wieder zuschlägt. Die Rüstung sei zu wichtig für politische Spielchen.
Drei Papiere, viele Erwartungen
Laut Bloomberg sollen gleich drei Dokumente unterschrieben werden: eine allgemeine Erklärung zur Partnerschaft, ein sicherheitspolitischer Pakt – und eine gemeinsame Absichtserklärung zur Beteiligung an Rüstungsprojekten. Das klingt nach Aufbruch.
Doch tatsächlich sind viele Punkte offen. Migration, Fischereirechte, Lebensmittelstandards – alles schwierige Themen, die wie bleierne Schatten über dem Treffen liegen. Ein umfassender Neustart ist nicht in Sicht. Vieles läuft auf politische Symbolik und technokratische Absichtserklärungen hinaus.
Industrie macht Druck – nicht nur in London
Für europäische Rüstungskonzerne ist der Zugang zum britischen Markt längst Realität. Unternehmen wie Rheinmetall, Leonardo oder MBDA haben Produktionsstätten in Großbritannien, forschen gemeinsam mit britischen Partnern und liefern in beide Richtungen.
Ein echter institutioneller Rahmen könnte Planbarkeit schaffen – und Investitionen absichern. Auch deshalb spricht sich Germany Trade & Invest (GTAI) für mehr Zusammenarbeit aus.
Marc Lehnfeld, Repräsentant der Wirtschaftsförderung in London, nennt die SAFE-Beteiligung eine „low hanging fruit“. Man müsse sie nur pflücken.
Der Brexit bleibt, die Risse auch
So sehr die Sicherheitslage eine Annäherung erzwingt – über die eigentlichen Bruchlinien legt sich keine Euphorie. Die Handelsvolumina zwischen EU und UK liegen weiterhin unter Vor-Brexit-Niveau, viele Betriebe kämpfen mit Bürokratie, Zöllen, regulatorischen Divergenzen.
Niemand am Verhandlungstisch glaubt ernsthaft, dass Großbritannien den EU-Austritt rückgängig machen wird. Auch Premier Starmer, so europafreundlich er auftritt, hat die Rückkehr nie zur Debatte gestellt. „Souveränität“ bleibt das Schlüsselwort.
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