„Große Kerle“ auf dünnem Eis
Die Bilder aus Peking wirken wie aus einem alten Diplomatenhandbuch: Paradeuniformen, Limousinen, rote Teppiche. Xi Jinping nennt die EU und China „da gezi“, also „große Kerle“, was auf Mandarin so viel bedeutet wie: starke Partner auf Augenhöhe.
Doch hinter dem freundlichen Vokabular verbergen sich Spannungen, die kaum überdeckt werden können. Ursula von der Leyen spricht offen von einem „Wendepunkt“. Und was sie meint, ist: Der Geduldsfaden der EU reißt.
Unausgesprochene Eskalation
Die Liste der Streitpunkte ist lang – und sie ist wirtschaftlich hochbrisant: Pekings Exportüberschüsse, staatlich subventionierte Überkapazitäten, Handelsbarrieren für europäische Firmen, Chinas versteckte Hilfe für Russland.
Auf EU-Seite häufen sich die Stimmen, die von einer „strukturellen Unfairness“ sprechen. Und auch von der Leyen formuliert in Peking ungewöhnlich deutlich: Wenn China seine Marktverzerrungen nicht abbaut, werde Europa sein Maß an Offenheit „nicht aufrechterhalten“ können.
Das ist Diplomatie in ihrer höflichsten Form – aber inhaltlich ein Ultimatum.

E-Auto-Zölle als Damoklesschwert
Im Zentrum des wirtschaftlichen Konflikts: die chinesischen Elektroautos. Brüssel wirft Peking vor, die Fahrzeuge mithilfe massiver Subventionen zu Dumpingpreisen auf den europäischen Markt zu bringen.
Die EU-Kommission hat Strafzölle vorbereitet – will aber offenbar doch noch einen Deal. Im Gespräch: ein Mindestpreis statt pauschaler Zölle. Peking zeigt sich gesprächsbereit, aber nicht kompromissbereit.
Hinter den Kulissen wissen beide Seiten: Diese Frage ist kein technisches Detail, sondern ein Lackmustest für das gesamte Verhältnis.
Industrie unter Zugzwang
Für die europäische Industrie steht viel auf dem Spiel. Nicht nur Autobauer wie BMW, Mercedes und VW, die in Peking mit am Tisch saßen. Auch Halbleiterhersteller wie Infineon oder Maschinenbauer mit China-Geschäft stehen zwischen allen Fronten. Brüssel fordert faire Bedingungen in China – doch das System bleibt intransparent, parteistaatlich, schwer kalkulierbar.
Gleichzeitig fürchten die Unternehmen eine weitere Eskalation, wie sie mit den USA bereits Realität ist. Zuletzt beschränkte Peking die Ausfuhr seltener Erden – ein Warnschuss, der auch Brüssel getroffen hat. Der jetzt beschlossene „Engpass-Mechanismus“ soll Europas Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen zumindest abfedern.
China, Russland – und Europas rote Linie
Ein weiterer Konflikt brodelt im Hintergrund: Chinas indirekte Unterstützung für Russlands Krieg gegen die Ukraine. Brüssel wirft Peking vor, sogenannte Dual-Use-Güter an Russland zu liefern – Produkte, die zivil genutzt werden können, aber auch militärisch.
Ein aktueller Reuters-Bericht belegt, wie chinesische Motoren über Scheinfirmen an russische Drohnenhersteller gelangen. Die Folge: höhere Schlagkraft auf dem Schlachtfeld – mit westlicher Technik, aus chinesischer Fertigung.
Xi bestreitet jede Mitschuld. Doch in Europa wächst der Zweifel – und damit der Druck auf die Kommission, mit härteren Maßnahmen zu reagieren. Sanktionsverschärfungen gegen chinesische Banken oder Exportkontrollen für Maschinen stehen längst auf der Liste.
Klimapolitik als letzter gemeinsamer Nenner
Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Die gemeinsame Erklärung zum Pariser Klimaabkommen. China bekräftigt, am Ziel festzuhalten – auch wenn die USA längst ausgeschert sind.
Der Ausbau erneuerbarer Energien läuft in China in Rekordtempo. Doch auch hier bleibt Misstrauen: Wie glaubwürdig sind Pekings Klimaversprechen, wenn gleichzeitig neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen?
EU-Ratspräsident Antonio Costa betont die „gemeinsame Verantwortung“. Es klingt bemüht. Denn eine strategische Partnerschaft, wie sie einst angedacht war, ist diese Beziehung längst nicht mehr.
Symbolik ersetzt Substanz
Dass Xi von „keinen grundlegenden geopolitischen Interessengegensätzen“ spricht, ist fast schon zynisch. Die Realität sieht anders aus: China umwirbt Russland, brüskiert Taiwan, blockiert europäische Firmen.
Die EU wiederum droht mit Zöllen, erschwert Investitionen und streckt gleichzeitig wieder die Hand aus – in der Hoffnung, wenigstens auf technischer Ebene kooperieren zu können.
Politisch steht die Beziehung auf der Kippe. Wirtschaftlich ist man noch voneinander abhängig. Strategisch aber, da haben sich die Wege längst getrennt.
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