Wachstum auf dem Papier – Stillstand in der Realität
Chinas Statistikbehörde meldet 5,2 % Wachstum im zweiten Quartal – exakt im Zielkorridor der Parteiführung. Doch was sich wie eine Erfolgsmeldung liest, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als wirtschaftspolitische Nebelkerze.
Denn fast alle tragenden Säulen der chinesischen Konjunktur – Konsum, Industrie, Immobilien, Investitionen – zeigen deutliche Schwäche. Was bleibt, ist eine Bilanz, die mehr Fassade als Substanz ist.
Exportüberschuss kaschiert hausgemachte Schieflage
Noch stützen steigende Exporte das Wachstum. Doch dieser Rückenwind droht zu versiegen. Die hohe Nachfrage aus dem Ausland basiert nicht auf technologischem Vorsprung, sondern auf ruinösen Preisen.
Chinesische Unternehmen unterbieten sich gegenseitig, um ihre Waren loszuwerden. Die Folge: sinkende Produzentenpreise – seit nunmehr 33 Monaten. Analysten warnen: Das Land steuert in eine Deflation.
Überkapazitäten als systemisches Risiko
Für Alicia García-Herrero, Chefvolkswirtin Asien-Pazifik bei Natixis, ist die Lage klar: „Die Überkapazitäten in China sind schlimmer als Trumps Zölle.“ Selbst wenn die USA morgen sämtliche Handelssanktionen aufheben würden – das strukturelle Problem bliebe.

Denn China produziert systematisch mehr, als es im In- und Ausland verkaufen kann. Dieser toxische Mix aus staatlicher Überförderung, Planwirtschafts-Logik und ausbleibendem Absatz wird zur tickenden Zeitbombe.
Industriegewinne brechen ein – Zombies nehmen zu
Der Preiswettbewerb hat nicht nur Auswirkungen auf die Preisniveaus, sondern auch auf die Unternehmen selbst. Besonders dramatisch zeigt sich das im Bereich der Erneuerbaren Energien: Während Peking die „grüne Transformation“ als geopolitisches Aushängeschild inszeniert, geraten viele Hersteller in existenzielle Schieflage.
Die Zahl der „Zombie-Unternehmen“, die nur noch durch Subventionen oder billige Kredite am Leben gehalten werden, wächst. Auch hier ist die politische Rhetorik weit entfernt von der Realität.
Kreditnachfrage fällt trotz Niedrigzinsen
Ein weiteres Warnsignal kommt vom chinesischen Finanzmarkt: Die Kreditnachfrage von Unternehmen und Haushalten war im Juni so niedrig wie seit Jahren nicht mehr – und das trotz historisch günstiger Zinsen.
Ökonomen sprechen von einer „abnehmenden geldpolitischen Feuerkraft“. Anders gesagt: Selbst billigstes Geld lockt niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Ein deutliches Zeichen für verlorenes Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft.
Der Immobiliensektor bleibt Chinas Achillesferse
Die Immobilienkrise hat sich trotz zahlreicher Stützungsmaßnahmen nicht entspannt. Im Gegenteil: Die Investitionen in den Sektor sanken im ersten Halbjahr um über 11 %, die Preise für Neubauten fielen im Juni so stark wie seit acht Monaten nicht mehr.
Besonders fatal: Der Bau- und Wohnungsmarkt trug früher bis zu ein Drittel zum Wirtschaftswachstum bei. Heute ist er nur noch ein Klotz am Bein – und der demografische Wandel mit schrumpfender Bevölkerung sorgt dafür, dass keine echte Erholung in Sicht ist.

Keine Investitionen, kein Vertrauen, keine Impulse
Auch von privater Seite ist keine Unterstützung zu erwarten. Die Bereitschaft von Unternehmen, neue Investitionen zu tätigen, ist gering. Selbst Großprojekte, etwa in Tech- oder Chipfertigung, werden zunehmend staatlich initiiert.
Das Vertrauen der Bürger in stabile Einkommen und verlässliche Rahmenbedingungen ist angesichts stagnierender Löhne, steigender Jugendarbeitslosigkeit und strenger Kontrolle ebenfalls geschwächt.
Xi Jinping kündigt Maßnahmen an
Anfang Juli kündigte Chinas Parteiführung an, gegen „ungeordneten Wettbewerb“ vorzugehen und veraltete Produktionskapazitäten abzubauen. Doch Beobachter sehen in diesen Aussagen eher symbolische Rhetorik als wirtschaftspolitische Wende.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde der private Konsum immer wieder beschworen – passiert ist wenig. Auch beim nun diskutierten neuen Fünfjahresplan (2026–2030) mehren sich Zweifel, ob der private Konsum diesmal wirklich Priorität bekommt.
Systemische Trägheit trifft geopolitische Realität
Selbst ohne weitere Eskalationen mit den USA bleibt China strukturell unter Druck. Die zentral gelenkte Investitionslenkung verhindert marktbasierte Innovationen.
Die Fokussierung auf Export und Großprojekte funktioniert in einer fragmentierten Weltwirtschaft immer schlechter. Die Überalterung der Gesellschaft, gepaart mit einer rigiden Parteikontrolle, bremst sowohl Flexibilität als auch Anpassungsfähigkeit.
Das Wachstum wird hohl – und keiner spricht es aus
So entsteht ein wirtschaftliches Paradox: China wächst auf dem Papier, aber kaum jemand profitiert davon. Das Vertrauen in die Zahlen sinkt. Und die politischen Stellschrauben greifen immer weniger.
Während Europa und die USA über Inflation sprechen, kämpft China mit der Gefahr einer chronischen Deflation – begleitet von Überkapazitäten, verschleppten Reformen und einer Gesellschaft, die langsam müde wird.
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