09. Mai, 2025

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Budapests Widerstand – wie Kaffeehäuser gegen Viktor Orbán bestehen

In Ungarn wächst der kulturelle Gegenentwurf zum autoritären Kurs der Regierung. In Budapest trotzen Kaffeehäuser, Autoren und Intellektuelle der politischen Enge. Angeführt von einem Deutschen, der die Stadt zum literarischen Zentrum macht.

Budapests Widerstand – wie Kaffeehäuser gegen Viktor Orbán bestehen
Trotz autoritärer Tendenzen und Repression füllen junge Literaten und Demonstrierende die Parks und Bühnen Budapests – und machen die Stadt zum Ort gelebter Widersprüchlichkeit.

Kultur als Kontrastprogramm zur Orbán-Politik

Während Viktor Orbán mit Zensur, Medienkontrolle und Bildungsabbau seine Macht sichert, entsteht in Budapest eine parallele Welt: eine Szene, die schreibt, denkt, diskutiert.

Es ist eine stille Revolte mit Marmortischen, Espressotassen und Literaturpreisen. Das Epizentrum dieser Bewegung: das Kaffeehaus "Három Holló" – geführt von einem Deutschen.

Wilhelm Droste, 71, Autor und Literaturdozent, hat in Budapest sechs Kaffeehäuser eröffnet. „Ich wollte etwas retten, das zukunftsfähig ist“, sagt er.

Kaffeehäuser wie das Három Holló, benannt nach dem Café, in dem einst Rilke in Prag saß, sollen Denk- und Debattenräume bleiben. Und das in einem Land, das versucht, solche Räume systematisch auszutrocknen.

Gegen den Brain Drain – mit Kaffee und Kultur

Ungarn verliert seine jungen Talente. Seit 2010 haben laut OECD über 500.000 überwiegend gut ausgebildete Menschen das Land verlassen. Ärzte, Forscher, Studierende – sie suchen Perspektiven im Ausland.

In Budapest jedoch entsteht ein Mikrokosmos des Bleibens: Studierende organisieren Lesungen, junge Autorinnen veröffentlichen Gedichte, Lektorate entstehen in WG-Küchen.

Während Viktor Orbáns Regierung unabhängige Medien und Universitäten verdrängt, wird das literarische Café zum kulturellen Zufluchtsort für Intellektuelle und junge Autorinnen.

„Der Brain Drain ist real – aber nicht total“, sagt Balázs Trencsényi, Historiker an der von George Soros gegründeten Central European University (CEU). Die Hochschule wurde 2018 durch politische Maßnahmen aus Budapest vertrieben, heute residiert sie in Wien. Doch das Forschungsprogramm blieb – als Symbol des intellektuellen Widerstands.

Literatur als Rückgrat der kritischen Öffentlichkeit

Während Orbán missliebige Medien kappt und NGOs drangsaliert, erlebt die ungarische Literatur eine neue Blüte.

Feministische Stimmen wie Noémi Kiss oder Anna Terék schreiben über Gewalt, Machtverhältnisse und weibliche Selbstermächtigung. Ihre Werke entstehen im Schatten der staatlichen Kulturpolitik – aber mit wachsendem Einfluss.

„Es gab eine Zeit, da dominierten historische Familienromane“, sagt Autorin Zsófia Bán. „Heute sind es experimentelle, weibliche, oft radikal subjektive Texte, die den Ton angeben.“ Auch bei Literaturfestivals wie dem Margo auf der Margaretheninsel zeigt sich: Die junge Szene ist laut, vielfältig und nicht gewillt, sich einschüchtern zu lassen.

Budapest als Gegenmodell – trotz Fidesz-Hegemonie

Auch auf der Straße regt sich Protest. Tausende jubeln Péter Magyar zu, einem liberalen Herausforderer Orbáns.

Die Polizei beobachtet Demonstrationen gegen das Pride-Verbot. Und immer wieder, fast beiläufig, tauchen literarische Ikonen auf. Péter Nádas, letzter großer Romancier des Landes, spaziert durch die Gassen. Im Hintergrund brodelt die Unzufriedenheit.

Droste bringt das auf den Punkt: „Die politische Situation ist eine Katastrophe – aber Budapest ist lebendig.“ Sein "Három Holló" ist Symbol dafür. Es vereint Café, Veranstaltungsort, Verlag und Diskursraum. Die gleichnamige Literaturzeitschrift, 2024 mit einer Sonderausgabe zu Péter Esterházy, erscheint regelmäßig. Und zieht Leser, die mehr wollen als Ablenkung.

Ein deutscher Gastgeber in der Hauptstadt des Widerspruchs

Wilhelm Droste, 1989 aus dem Sauerland nach Ungarn gekommen, ist inzwischen integraler Teil der Budapester Kulturszene. Am Abend vor Esterházys 75. Geburtstag platzt das Három Holló aus allen Nähten.

Saxofonklänge, Debatten, Texte. „Eigentlich sollte Péter das Café eröffnen“, sagt Droste leise. Nun ist es sein Vermächtnis – und ein Ort, an dem Literatur politisch bleibt, ohne Parole zu sein.

Er hilft zwei jungen Frauen, ein weiteres brachliegendes Kaffeehaus neu zu beleben. Warum? „Weil man die Idee weitergeben muss.“

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