27. Juli, 2025

Unternehmen

Zerreißprobe in Maßanzug: Wie ein Familienstreit Hirmer an den Rand brachte

Der Münchner Herrenausstatter steckt tief in der Krise – nicht nur wegen Immobilienpleiten, sondern vor allem wegen jahrelanger Intrigen in der Familie. Jetzt sollen Notverkäufe die Wende bringen.

Zerreißprobe in Maßanzug: Wie ein Familienstreit Hirmer an den Rand brachte
Zentrale ohne Zentrum: Bis heute existiert keine einheitliche Holdingstruktur bei Hirmer – ein strukturelles Versäumnis, das den Familienstreit weiter verschärfte.

Streit statt Strategie

Im Zentrum Münchens, zwischen Frauenkirche und Fußgängerzone, verkauft Hirmer seit Jahrzehnten das, was man für gutes Auftreten hält: Anzüge, Hemden, Einstecktücher.

Doch hinter der edlen Fassade der Marke brodelt es. Das Traditionsunternehmen, einst Symbol für den Aufstieg in Münchens bessere Kreise, ist finanziell schwer angeschlagen. Der Grund: eine Mischung aus riskanten Geschäften – und einem erbitterten Familienstreit, der über Jahre hinweg alles blockierte.

Die letzte Übung

An einem Sonntag Ende Juni treffen sich knapp hundert Angestellte im Münchner Stammhaus. Die Belegschaft verteilt Spielgeld, diskutiert über fiktive Budgets. Eine Übung, um mit knappen Mitteln zu planen. Doch was als Planspiel inszeniert ist, ist in Wirklichkeit längst Realität. Es gibt nicht mehr viel zu verteilen. Hirmer muss sparen. Und schnell.

Vom Modehaus zum Bauherrn

Jahrelang lief es gut. Mit der Expansion der Linie „Hirmer Grosse Grössen“ und prominenten Kunden wie Edmund Stoiber oder Uli Hoeneß konnte man solide wachsen.

Doch in den 2010er-Jahren begannen die Hirmers, massiv in Immobilien zu investieren – Hotels in Südtirol, Brasilien, am Tegernsee. Vorzeigeobjekt war das WM-Quartier Campo Bahia. Doch ausgerechnet diese Strategie wurde zur Hypothek.

Leerstand mit Seeblick: Das einstige Vorzeigeprojekt „Bachmair am See“ am Tegernsee kostet Hirmer jährlich über eine Million Euro Erbpacht – dabei ist das Luxushotel seit Jahren geschlossen.

Heute reißen die Immobilienprojekte Löcher in die Bilanz. Interne Zahlen zeigen: Allein 2025 drohen bei mehreren Projekten Verluste von rund drei Millionen Euro. Die Landesbank Baden-Württemberg, ein wichtiger Kreditgeber, drängte im Herbst 2024 auf ein Sanierungsgutachten. Es war der Moment, in dem klar wurde: Das Unternehmen steht auf der Kippe.

Hirmer gegen Hirmer

Doch wer glaubte, die Familie würde in der Krise zusammenrücken, täuschte sich. Ulrich Hirmer, Geschäftsführer der Modeseite, zog vor Gericht – gegen seinen Cousin Christian, zuständig für die Immobiliensparte. Der Vorwurf: wirtschaftlicher Schaden, zweckentfremdete Gelder, Alleingänge.

Was folgte, war eine Eskalation im Familienkreis: Brüllereien in Gesellschafterversammlungen, Anschuldigungen, gescheiterte Kompromisse. Schwester gegen Bruder, Vater gegen Neffe, Anwälte statt Gespräche. Die Hirmers waren nicht mehr handlungsfähig.

„Succession“ auf Bayerisch

Wer die interne Dynamik beschreibt, denkt an Fernsehserien wie „Succession“. Zwei Lager, tief zerstritten, aber voneinander abhängig. Auf der einen Seite: Ulrich Hirmer, ruhig, kontrolliert, zurückhaltend. Auf der anderen: Christian Hirmer – umtriebig, kontaktfreudig, ein Typ fürs große Rad.

Letzterer galt lange als Liebling von Familienpatriarch Max-Peter Hirmer. Der wiederum konnte mit Ulrich, dem Adoptivsohn seines Bruders, nie viel anfangen. Eine uralte Abneigung, die plötzlich wieder brandgefährlich wurde, als es ums Ganze ging.

Das große Rad stockt

Christian Hirmer hatte jahrelang freie Hand. Investitionen wurden durchgewunken, solange das Geld floss. Hotels am Gardasee, in Bad Gastein, in Weimar. Doch viele Projekte wurden teurer als geplant – und einige stehen heute leer.

Paradebeispiel: das „Bachmair am See“ in Rottach-Egern. Vier Jahre nach dem Kauf ist vom Luxusversprechen nicht viel übrig. Das Hotel ist eine Baustelle. Die Hirmers zahlen jedes Jahr über eine Million Euro Erbpacht – ohne Einnahmen.

Die Eskalation

Im Frühjahr 2023 dann der Bruch: Ulrich und Cousin Ferdinand, mittlerweile in der Geschäftsführung der Immobilienholding, setzten Christian ab. Der hatte zuvor ohne Zustimmung der anderen eine Lebensversicherung verpfändet. Ein klarer Bruch interner Regeln – und ein juristisches Nachspiel.

Das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern war damit endgültig zerrüttet. Ein Trennungsversuch im Herbst 2024 – Immobilien für die einen, Modehandel für die anderen – scheiterte. Angeblich, weil Max-Peter Hirmer blockierte. Zu sehr hing er an seinem Sohn Christian. Zu spät war die Einsicht, dass das Unternehmen wichtiger war als verletzte Eitelkeiten.

Der Rückzug des Lebemanns

Mittlerweile steht fest: Christian Hirmer wird die Gruppe bis Mitte 2026 verlassen. Eine Einigung sei gefunden worden, heißt es von beiden Seiten. Doch wie genau dieser Ausstieg aussieht – und wer was bekommt –, ist noch offen. Ein weiterer Konflikt ist also keineswegs ausgeschlossen.

Schlanker, kleiner, einfacher

Ulrich Hirmer arbeitet währenddessen an der Rettung des Kerngeschäfts. Die Banken spielen mit, Kredite wurden verlängert. Der Fokus liegt wieder auf dem Modehandel. Dafür soll Personal reduziert, unrentable Filialen geschlossen und Immobilien verkauft werden. Projekte in Stuttgart, Weimar und Leipzig sind schon abgestoßen. Weitere sollen folgen.

Man hoffe auf Einnahmen im mittleren zweistelligen Millionenbereich – das Stammhaus in der Kaufingerstraße ist dabei noch nicht einmal mitgerechnet. Selbst hier wird über einen Verkauf nachgedacht.

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