Ein Insolvenzantrag, der gefeiert wird wie ein Produktlaunch
Während andere Unternehmen bei einer Insolvenz ihren letzten Börsentag erleben, gelingt Wolfspeed ein verblüffender Akt: Gläubigerschutz beantragt – und die Aktie vervielfacht sich. Zwischenzeitlich um über 170 Prozent.
Ein Fall, der die Logik des Marktes scheinbar auf den Kopf stellt – und zugleich ein gefährliches Spiel entlarvt, das Hedgefonds, Leerverkäufer und Zocker mit abgestürzten Tech-Titeln treiben.
Gläubigerschutz nach Chapter 11 – das Drehbuch der Sanierung
Am 1. Juli ist es offiziell: Wolfspeed, bekannt für seine Siliziumkarbid-Halbleiter, hat beim zuständigen Gericht in den USA Gläubigerschutz nach Kapitel 11 beantragt.
Damit steht das Unternehmen zwar unter Aufsicht des Insolvenzgerichts, darf aber unter eigenem Management weiterarbeiten – und das in einer Branche, die gerade boomt.
Dabei waren die Warnzeichen unübersehbar: Schon im Mai hatte Wolfspeed öffentlich gezweifelt, ob das Geschäft in der bestehenden Form fortgeführt werden könne.
Die Gründe: eine Nachfrageflaute im Automotive-Bereich, Zollunsicherheiten infolge geopolitischer Spannungen – und nicht zuletzt hausgemachte Produktionsprobleme im neuen Werk.
4,6 Milliarden Dollar Schulden – und 275 Millionen frisches Geld
Trotz des angeschlagenen Zustands hat Wolfspeed zuletzt eine neue Finanzierung in Höhe von 275 Millionen US-Dollar vereinbart – mit der US-Tochter des japanischen Konzerns Renesas Electronics.
Die Schulden sollen in einem radikalen Schnitt um 4,6 Milliarden Dollar reduziert werden. Klingt nach einer Zukunftschance – bleibt aber ein Sanierungslauf mit hohem Risiko.
Short Squeeze statt Vertrauen: Warum die Aktie explodiert
Der Grund für den wilden Kursanstieg ist kein plötzlicher Glauben an das Geschäftsmodell, sondern eine technische Marktreaktion: der klassische Short Squeeze.
Fast 50 Prozent der frei gehandelten Wolfspeed-Aktien waren zuletzt leerverkauft – eine enorme Quote. Als die Insolvenz bekannt wurde, begann ein Wettlauf: Leerverkäufer, die auf fallende Kurse gesetzt hatten, mussten sich plötzlich eindecken – und trieben so den Kurs nach oben.
Was wie ein Signal der Hoffnung aussieht, ist in Wahrheit eine reflexhafte Marktmechanik. Denn das operative Bild ist ernüchternd: Die Aktie war binnen eines Jahres von 24 Dollar auf unter einen Dollar gefallen – ein Desaster für Investoren, ein Fest für Hedgefonds.
Technologische Versprechen – aber keine Skalierung
Wolfspeed galt einst als Pionier für Siliziumkarbid-Chips, die in Elektrofahrzeugen für höhere Effizienz und Reichweite sorgen. Doch während Branchengrößen wie Infineon, Bosch und STMicro Milliarden in Produktionsstätten stecken, kämpft Wolfspeed mit Produktionsengpässen und Qualitätsproblemen – insbesondere im neuen Werk in New York.
Das Management betont, dass die Technologie intakt sei. Doch Skalierung und industrielle Zuverlässigkeit sind das wahre Nadelöhr in dieser Phase. Und hier verliert Wolfspeed den Anschluss – technologisch wie wirtschaftlich.
Ein Markt in Bewegung – aber nicht mit Wolfspeed
Der SiC-Markt ist kein Nischenmarkt mehr, sondern ein strategisches Wachstumsfeld. Alle großen Autozulieferer arbeiten daran, Leistungshalbleiter auf Siliziumkarbid-Basis zu verbauen – nicht zuletzt, um die Energiedichte in E-Autos zu erhöhen und die Reichweiten zu optimieren. Doch Wolfspeed gelingt es nicht, aus dem Pionierstatus ein belastbares Geschäftsmodell zu machen.
Stattdessen dominieren inzwischen europäische Player – nicht nur mit Kapital, sondern mit funktionierenden Lieferketten. Wolfspeed hingegen tritt auf der Stelle – zwischen Vision und Wirklichkeit, zwischen Hype und Insolvenzgericht.
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