06. Mai, 2025

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Wie Unternehmen mit Architektur gegen das Homeoffice kämpfen

Wenn der Arbeitsplatz schöner ist als das eigene Zuhause: Warum Konzerne in Design, Duftbäume und Denkzonen investieren – und was das mit Loyalität, Leistung und Liebe zum Arbeitgeber zu tun hat.

Wie Unternehmen mit Architektur gegen das Homeoffice kämpfen
Treppe statt Chefbüro, Denkraum statt Videocall: Das Architekturbüro Graft lebt New Work radikal – doch auch hier bleibt die Frage, ob architektonische Offenheit echte Mitbestimmung ersetzt oder nur suggeriert.

Die Ära des schnöden Großraums ist vorbei

Berlin, Potsdamer Platz, 15. Stock: Wo früher graue Schreibtische standen, regiert heute Retro-Chic. Cognacfarbene Ledersessel, Samtsofas, Palmen – Freshfields, eine der wichtigsten Wirtschaftskanzleien des Landes, hat ihre Berliner Räume in ein Manhattan-Apartment verwandelt.

Doch der Umbau ist mehr als Dekoration: Er ist Strategie. Unternehmen in ganz Deutschland investieren wieder kräftig in ihre Büros. Der Grund? Wer Top-Talente zurück ins Office holen will, muss mehr bieten als WLAN und einen höhenverstellbaren Tisch.

Design statt Pflicht – die Rückkehr muss freiwillig wirken

Die Pandemie hat die Spielregeln verändert. Homeoffice ist keine Ausnahme mehr, sondern Standard. Laut Ifo-Institut wollen zehn Prozent der Firmen mobiles Arbeiten sogar ganz abschaffen.

Gleichzeitig wissen sie: Wer Druck macht, verliert. Wer überzeugen will, muss Atmosphäre schaffen. Der Arbeitsplatz wird zum Produkt – und zur Bühne. Wer kommt, soll es wollen. Nicht müssen.

Wenn das Büro schöner wird als das eigene Zuhause

„Am Ende des Tages muss Arbeiten auch Erlebnis sein“, sagt Karim El-Ishmawi vom Berliner Architekturbüro Kinzo, das für Freshfields, Nike oder Suhrkamp plant. Erlebnis – das heißt heute: transparente Vorhänge, warme Teppiche, Dachterrassen mit Blick auf die Stadt.

Design zwischen Kunstberatung und Konzernidentität: Der Raum „Münchner Freiheit“ bietet Rückzug mit Stil. Kritiker fragen: Wie viel ästhetischer Aufwand ist notwendig, um strukturelle Probleme im Arbeitsalltag zu übertünchen?

Räume, die weniger an einen Konzern erinnern, sondern an ein Boutiquehotel mit Whiteboard. Es geht ums Gefühl. Und das Gefühl muss stimmen.

Die große Angst: Konzentration und Kultur gehen verloren

71 Prozent der Deutschen bleiben lieber im Homeoffice – vor allem wegen der Pendelzeit. Jeder Dritte sagt, er könne sich im Büro schlechter konzentrieren. Die Kritik ist nicht neu: Großraumbüros gelten als laut, unpersönlich, ineffizient.

Der US-Architekt Robert Luchetti warnte schon vor Jahren davor, Ruheinseln durch offene Flächen zu ersetzen. Statt Türen gibt’s Kopfhörer. Statt Rückzug – Dauerbeschallung. Wer das ändern will, muss neu denken.

Büros werden zu Markenräumen

Der Energiekonzern Eon lässt seine Flächen von Gräfin Dorothee von Posadowsky-Wehner gestalten – einst Kunstberaterin, heute verantwortlich für das Raumgefühl.

In München entstand eine Etage in Mint und Hellgelb, mit Récamiere, Wolkentapete und Werken des Fotografen Thomas Wrede. Jeder Raum erzählt eine Geschichte. Und die wichtigste lautet: Wir sind mehr als nur Strom.

Auch bei Jägermeister ist die Botschaft klar. Grün-orange Arbeitslandschaften, Hängematten und Basketballkörbe. Der Entwurf kommt von Werner Aisslinger, bekannt durch das 25hours-Hotelkonzept. Ziel: ein Ort, an dem sich Mitarbeitende mit dem Produkt identifizieren. Vom Altherrenschnaps zur urbanen Kultmarke – auch das beginnt beim Stuhl, nicht beim Slogan.

250 Millionen Euro für einen Arbeitsplatz mit Schaukeln, Working-Café und Nachhaltigkeits-Branding – die Rücklaufquote ins Büro liegt bei 60 %. Aber wie nachhaltig ist ein Konzept, das so stark auf Flächennutzung setzt?

Start-ups wollen Nähe statt Hochglanz

Ganz anders, aber nicht weniger durchdacht: das Start-up Relaxound in Berlin-Mariendorf. Architektin Ester Bruzkus, bekannt aus dem „Architectural Digest“, hat dort Vogelstimmen, Tiefblau und recyceltes Bonbonpapier kombiniert.

Der Plattenspieler steht im Zentrum, die Küche ist wichtiger als der Konferenztisch. „Das Büro darf nicht wie ein Showroom aussehen“, sagt Bruzkus. Sondern wie ein Ort, an dem man bleiben möchte.

Beiersdorf zeigt, wie es geht – und andere schauen genau hin

Der Kosmetikkonzern aus Hamburg hat 250 Millionen Euro in seinen neuen Campus investiert. Fitness, Postservice, Fahrradwerkstatt, Spacelook-Café – und eine Atmosphäre, die laut Architekt Peter Ippolito „wie eine gute Party in der Küche“ ist. Die Anwesenheitsquote liegt bei 60 Prozent – deutlich über dem Durchschnitt. Das ist kein Zufall. Wer Care verkauft, muss auch Care leben.