Es dauerte nur Sekunden – und weite Teile der Iberischen Halbinsel versanken im Chaos. Ein massiver Stromausfall legte am Montag den Alltag in Spanien und Portugal lahm, lähmte Züge, blockierte Ampeln, kappte Internet- und Telefonverbindungen.
Für viele Betroffene fühlte sich der plötzliche Blackout wie ein Angriff an. Doch nach ersten Erkenntnissen stammt der Feind nicht aus dem Cyberspace, sondern aus der Natur.
Temperaturschock im Netz
Portugals Netzbetreiber REN überraschte am Dienstagmorgen mit einer Erklärung, die zunächst wie eine Notlüge klang, sich bei genauerem Hinsehen aber als ernstzunehmende Hypothese entpuppte: Ein „seltenes atmosphärisches Phänomen“ habe das Hochspannungsnetz überfordert.
Extreme Temperaturunterschiede im Landesinneren Spaniens verursachten Schwingungen in den 400-kV-Leitungen – ein als „induzierte atmosphärische Vibration“ bekanntes Phänomen.
Die Folge: Synchronisationsfehler zwischen den Stromnetzen, Ausfälle im europäischen Verbundsystem – und ein Dominoeffekt von historischer Wucht.
Innerhalb von fünf Sekunden verlor Spanien laut Regierungsangaben 15 Gigawatt Erzeugungsleistung – rund 60 Prozent des landesweiten Bedarfs. Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach von einem „beispiellosen Vorfall“.
In der Branche sind die theoretischen Risiken solcher Temperaturschocks zwar bekannt, doch ein Zusammenbruch dieses Ausmaßes galt bisher als unwahrscheinlich.
Mehr als eine technische Fußnote
Was wie eine Kuriosität klingt, hat in Wahrheit enorme Tragweite. Der Vorfall zeigt, wie anfällig moderne Infrastrukturen für klimatische Extreme geworden sind.

In Zeiten immer stärker schwankender Wetterverhältnisse könnten Temperaturschocks künftig nicht nur das Stromnetz, sondern auch andere lebenswichtige Systeme an ihre Grenzen bringen – mit unabsehbaren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Experten warnen: Je enger die Vernetzung europäischer Infrastrukturen, desto größer die Gefahr, dass lokale Naturereignisse supranationale Kettenreaktionen auslösen.
Im Fall der Iberischen Halbinsel traf es „nur“ zwei Staaten – doch theoretisch hätte der Blackout bei anderer Netzkonstellation auf weite Teile Europas übergreifen können.
Stunde der Improvisation
Während Politiker in Madrid und Lissabon eilends Sicherheitsräte einberiefen, stemmte sich die Bevölkerung auf ihre Weise gegen den Ausnahmezustand. In Madrid jubelten Anwohner, als nach neun Stunden die ersten Lichter wiedergingen. Küchenchefs arbeiteten bei Kerzenschein, Busfahrer lotsten Fahrzeuge ohne Ampeln durch die Nacht.
Auch auf Regierungsebene blieb die Improvisation nicht aus. Spaniens Nuklearaufsicht meldete, dass drei Atomkraftwerke im Land auf Notstrombetrieb umschalten mussten, versorgt über Dieselgeneratoren – immerhin ohne sicherheitsrelevante Zwischenfälle.
Unsichtbare Risiken, unterschätzte Folgen
Dass bislang keine Hinweise auf Cyberangriffe oder Sabotage vorliegen, beruhigt nur auf den ersten Blick. Tatsächlich entlarvt das Ereignis ein Grundproblem: Unsere hochkomplexen Infrastrukturen sind auf Störungsfreiheit optimiert – nicht auf Resilienz gegenüber Naturgewalten. Ein System, das bei außergewöhnlichen Wetterphänomenen binnen Sekunden zusammenbricht, sendet ein alarmierendes Signal.
Für Unternehmen, Regierungen und Investoren gleichermaßen drängt sich eine unbequeme Frage auf: Wie belastbar sind die Netze, auf denen unsere digitalisierte Welt fußt, wirklich? Und was, wenn der nächste Zwischenfall nicht auf einen heißen Nachmittag beschränkt bleibt, sondern tagelange Ausfälle nach sich zieht?
Das könnte Sie auch interessieren:
