Vertrauen verspielt auf zwei Rädern
Ein Babboe-Lastenrad galt vielen Familien als ökologisches Statussymbol – bis die ersten Rahmen brachen. Dann kam der europaweite Rückruf.
66.000 Räder wurden als potenziell unsicher deklariert, teils aufgrund akuter Bruchgefahr beim Fahren mit Kindern.
Heute ist klar: Es war kein Einzelfall, sondern ein kollektives Versagen. Und es trifft den Mutterkonzern Accell an einem empfindlichen Nerv: seinem Ruf – und seiner Bilanz.

Der Schaden in Zahlen – und Schweigen von ganz oben
22 Prozent Umsatzrückgang 2024, nach bereits 11 Prozent im Vorjahr: Binnen zwei Jahren hat Accell, Europas einstiger Fahrradgigant, fast ein Drittel seines Umsatzes verloren.
Der Nettoverlust belief sich 2023 auf 390 Millionen Euro – doch wie hoch die Verluste 2024 tatsächlich sind, verrät Accell lieber nicht. Der Grund liegt nahe: Ein beispielloser Vertrauensverlust, angefeuert durch Babboes zweifelhaften Umgang mit Sicherheit, Kunden und Transparenz.
„Lächerlich niedrige Angebote“ – das Märchen von der Entschädigung
Besonders absurd wird es beim Blick auf die angebotenen Entschädigungen: 76 Euro für ein ehemals über 2.000 Euro teures Lastenrad? Ein 23-Euro-Angebot für ein Fahrzeug aus dem Jahr 2021?
Verbraucher sprechen von Hinhaltetaktiken, Gutscheinfallen und nicht eingelösten Versprechen. Selbst nachdem die niederländische Aufsichtsbehörde NVWA intervenierte, bietet Babboe Barentschädigungen nur in den Niederlanden an – ausländische Kunden bleiben außen vor.
Der Unmut ist verständlich: Nur 29 Prozent der Betroffenen zeigten sich in einer Umfrage mit dem Angebot zufrieden.

Juristische Aufarbeitung – aber ohne Aufklärung?
Die Kanzlei Birkway vertritt mittlerweile über 17.000 Geschädigte. Sie spricht von „vorsätzlichem Fehlverhalten“, das sogar eine strafrechtliche Relevanz gehabt habe – zumindest bis die Staatsanwaltschaft im April 2024 ihre Ermittlungen einstellte.
Pikant: Interne Dokumente, die die Sicherheitsrisiken bestätigen könnten, hält Babboe zurück. 280 Seiten Widerspruch gegen ihre Veröffentlichung zeigen: Aufklärung ist nicht gewollt. Warum auch, wenn die Kosten einer Offenheit Milliarden wiegen könnten?
Management auf Durchreise – keine Vision, kein Vertrauen
Dass inmitten der Krise gleich mehrere Spitzenmanager – darunter CEO, CFO und der Aufsichtsratschef – das Weite suchten, lässt tief blicken.
Die Eigentümer, darunter der US-Investor KKR, mussten bereits erhebliche Wertberichtigungen auf ihr 1,6-Milliarden-Euro-Investment vornehmen. Im Markt hat Accell den Anschluss längst verloren.
Branchenprimus Pon.Bike (Gazelle, Cannondale) fährt davongezogen – mit doppelt so hohem Umsatz, effizienteren Strukturen und stabiler Führung.
Ein gefährliches Produkt – und eine systematische Verharmlosung
„Unverantwortlich“ nannte ein akkreditiertes Prüflabor die Rückführung des Babboe-Modells „City“ in den Verkehr, nachdem es beim Belastungstest versagte.
Ein Fahrrad, vermarktet als sicherer Kindertransporter, das bei halber Last bricht? Selbst die Wiederaufnahme in den Markt nach einem Rückruf 2019 wirkt rückblickend wie eine Katastrophe mit Ansage.
Verbraucherschutz, der keiner ist
Babboe wirbt weiterhin mit Familienfreundlichkeit, während betroffene Eltern auf Rückerstattungen warten. Einige berichten, dass ihr Rad abgeholt, aber nie ersetzt wurde. Andere erhalten keine Antwort auf Mahnungen.
Derweil versucht Babboe, sich durch teils absurde Gutscheinangebote von seiner Verantwortung freizukaufen. Es sind Fälle wie diese, die den Ruf der gesamten Cargobike-Branche ruinieren.
Branchenbeben mit Signalwirkung
Der Babboe-Skandal ist ein Paradebeispiel für das, was passiert, wenn Gewinnmaximierung vor Produktsicherheit steht. Der Schaden ist real: für Kunden, die auf Kindertransportmittel vertrauten.
Für Investoren, die Hunderte Millionen verloren. Und für eine Branche, die ausgerechnet in der Verkehrswende als Hoffnungsträger galt. Jetzt steht sie unter Generalverdacht.
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