01. Juli, 2025

Finanzen

Wie Echtzeitüberweisungen Betrug befeuern und Banken überfordern

Immer mehr Kunden erwarten blitzschnelle Überweisungen – und absolute Sicherheit. Doch was passiert, wenn das Tempo steigt, aber die Schutzsysteme nicht mithalten? Ein Blick hinter die Kulissen der Bankenwelt, wo Betrüger mit künstlicher Intelligenz aufrüsten – und Kunden das Vertrauen verlieren.

Wie Echtzeitüberweisungen Betrug befeuern und Banken überfordern
Sekundenschnell – und unwiderruflich: Echtzeitüberweisungen sind bequem, aber auch riskant: Betrüger nutzen die Geschwindigkeit, um Gelder zu transferieren, bevor Banken reagieren können. Allein in Großbritannien verursachte APP-Betrug 2023 Schäden von 459 Millionen Pfund.

Am frühen Montagmorgen überweist Daniel B., 38, einen kleinen Betrag an einen Freund – per Echtzeitüberweisung. 20 Euro. Zwei Stunden später ist sein Konto leer.

„Ich habe nichts bemerkt. Keine Nachricht, keine Warnung“, sagt er.

Insgesamt rund 4.800 Euro wurden in mehreren Einzeltransaktionen auf ausländische Konten verschoben. „Das ging schneller, als ich schauen konnte. Und die Bank konnte es nicht stoppen.“

Der Fall ist kein Einzelfall. Im digitalen Zahlungsverkehr ist Geschwindigkeit längst zur Norm geworden – und zur Schwachstelle. Denn je schneller das Geld unterwegs ist, desto kürzer ist das Zeitfenster für Sicherheitsprüfungen.

Besonders bei sogenannten autorisierten Push-Zahlungen (APP), bei denen die Kunden die Transaktion selbst auslösen – oft, ohne zu ahnen, dass sie Betrügern aufgesessen sind.

Der Preis der Geschwindigkeit

Echtzeitüberweisungen galten lange als Innovation. Inzwischen sind sie Alltag – zumindest aus Sicht der Kunden. Dass dabei Sicherheitsmechanismen unter Druck geraten, ist nur wenigen bewusst.

Laut britischem Branchenverband UK Finance wurden allein im Vereinigten Königreich im Jahr 2023 Schäden durch APP-Betrug in Höhe von 459 Millionen Pfund verzeichnet. Auch in Deutschland steigen die Zahlen.

„Was heute als Komfortfunktion gefeiert wird, kann sich morgen als Einfallstor für Kriminelle erweisen“, sagt ein leitender Sicherheitsberater einer großen deutschen Bank, der anonym bleiben möchte.

Der Grund: Betrüger nutzen nicht nur menschliche Schwächen – sie setzen mittlerweile auch auf KI-gestützte Systeme, die gezielt Schwachstellen in Zahlungsprozessen identifizieren.

KI gegen KI – ein Rüstungswettlauf beginnt

Was für Unternehmen und Verbraucher Fortschritt bedeutet, ist für Kriminelle ein Werkzeugkasten. Im Darknet kursieren Programme wie WormGPT oder FraudGPT, die sich auf Social Engineering, Phishing und Identitätsbetrug spezialisieren.

Wer Zugang dazu hat, kann täuschend echte E-Mails generieren, gefälschte Webseiten erstellen und sogar Banken imitieren.

Die Finanzwelt hat begonnen, zurückzuschlagen. Unternehmen wie Visa setzen zunehmend auf KI-gestützte Betrugserkennung. Statt sich auf manuelle Prüfungen oder starre Regeln zu verlassen, werden Transaktionsdaten in Echtzeit analysiert, Muster erkannt und verdächtige Aktivitäten automatisch gestoppt – idealerweise, bevor Schaden entsteht.

Mit einem Klick ins Nichts: Wer auf täuschend echte Phishing-Nachrichten hereinfällt, autorisiert oft selbst die Überweisung – ohne jede Chance, das Geld zurückzuholen. Das perfide: Viele Kunden merken den Betrug erst, wenn es längst zu spät ist.

„Wir sehen, dass Banken, die KI strategisch einsetzen, Betrugsversuche deutlich effektiver erkennen – ohne das Nutzungserlebnis zu stören“, sagt Darius Metzner, Head of Visa Protect Sales in Zentral- und Osteuropa.

Zwischen Misstrauen und Mobilität

Doch die Technik allein reicht nicht aus. Die Beziehung zwischen Kunden und Bank verändert sich – besonders bei jüngeren Generationen. Laut einer Umfrage des britischen Dienstleisters Pay.UK haben 44 Prozent der Generation Z im letzten Jahr ihre Hauptbankverbindung gewechselt. Die Gründe: zu umständlich, zu langsam, zu wenig digital.

Gleichzeitig gilt: 15 Prozent der Kunden verlassen ihre Bank nach einem Betrugsfall – selbst dann, wenn sie vollständig entschädigt werden. Für Banken ist das Vertrauensverlust in Reinform.

„Es geht nicht mehr nur um Sicherheit“, sagt eine Bankanalystin, die seit Jahren Betrugsmuster im Zahlungsverkehr untersucht. „Es geht um das Gefühl, verstanden zu werden – und um die Frage, ob ich mich bei meiner Bank sicher fühle, auch wenn etwas schiefgeht.“

Die stille Revolution im Hintergrund

Eine der größten Herausforderungen für Banken ist der Spagat zwischen Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit. Zwei-Faktor-Authentifizierung, biometrische Checks oder TAN-Verfahren sollen schützen – führen aber oft zu Frust. Studien zeigen, dass jeder zusätzliche Klick das Risiko erhöht, dass ein Kunde den Kauf abbricht oder zur Konkurrenz wechselt.

Zwischen Schutz und Schikane: Sicherheitsmaßnahmen wie Zwei-Faktor-Authentifizierung sollen schützen, führen aber häufig zu Kaufabbrüchen. Jede Reibung kann Kunden kosten – ein Dilemma zwischen Komfort und Kontrolle.

An Lösungen mangelt es nicht. Moderne Systeme kombinieren Daten aus Kartentransaktionen mit A2A-Überweisungen. Das erlaubt eine präzisere Einschätzung, ob eine Zahlung verdächtig ist – und zwar ohne den Kunden zu belästigen. „Unsichtbare Sicherheit“ nennen das Insider. Der Kunde merkt nichts – aber wird geschützt.

Visa etwa hat sein Kartennetzwerk längst für Echtzeitüberweisungen geöffnet und verspricht, Banken damit ein Frühwarnsystem an die Hand zu geben. Ein System, das aus Erfahrung lernt – und sich weiterentwickelt. Doch: Auch Betrüger lernen. Und sie schlafen nicht.

Wer nicht aufrüstet, verliert

Die kommenden Jahre werden entscheidend. Denn mit dem wachsenden Markt für Echtzeitzahlungen wächst auch die Angriffsfläche. Juniper Research schätzt, dass der Wert der A2A-Zahlungen bis 2029 weltweit auf 5,7 Billionen US-Dollar steigen wird. Ein gigantischer Markt – für Banken, aber auch für Kriminelle.

Der Kampf um Vertrauen ist damit eröffnet. Wer ihn gewinnt, entscheidet nicht nur über Sicherheit – sondern über Marktanteile.

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