Das Geschäft mit der Maske
Die Masche ist simpel – und zerstörerisch. Ein vertrautes Gesicht, ein paar optimistisch klingende Sätze über Aktien oder Krypto, vielleicht garniert mit dem Versprechen „Das hätte ich gern früher gewusst“: So lockten Kriminelle ihre Opfer 2024 zu Dutzenden in manipulierte Chatgruppen.
Ihr Köder: das Profil von Thomas Kehl, dem Gründer des erfolgreichen Finanzbildungs-Kanals Finanzfluss. In Wahrheit steckte hinter dem Profil kein Investmentbanker – sondern ein perfides Schema.
Kehl, der auf YouTube und Instagram zusammen mehr als zwei Millionen Follower erreicht, hatte bereits vor einem Jahr Alarm geschlagen. Doch auch nach über 180 gemeldeten Fälschungen blieb das Echo bei Instagram & Co. oft aus. „Es passiert zu wenig. Viel zu wenig“, sagt Kehl heute – und zieht Konsequenzen.
Betrug mit System – und Plattformlogik
Im Zentrum der Kritik steht Meta, der Mutterkonzern von Facebook und Instagram. Dass dort täglich Betrugsversuche stattfinden, ist kein Geheimnis. Dass aber selbst prominente Personen mit hohem Wiedererkennungswert keine Möglichkeit haben, sich wirksam zu wehren, offenbart ein strukturelles Problem.
Laut Kehl ignorierte das interne Meldesystem von Meta nicht nur Hinweise – es wies sie in vielen Fällen sogar pauschal ab. Der Verdacht: Meta profitiert indirekt selbst von der kriminellen Aktivität, weil auch Fake-Accounts Werbeanzeigen buchen können – gegen Bezahlung.
„Wenn Plattformen an den Anzeigen dieser Fakeprofile mitverdienen, dann fehlt jeder Anreiz, sie wirklich konsequent zu entfernen“, sagt Kehl.
Der Sitz der Drahtzieher in schwer zugänglichen Jurisdiktionen wie Singapur oder Hongkong mache eine Strafverfolgung nahezu unmöglich – und die Verantwortung lande am Ende bei jenen, deren Gesichter missbraucht werden.

Pump & Dump mit Instagram-Glanz
Was genau in den Chatgruppen passiert, ist ein weiteres Kapitel des Skandals. Nach Recherchen von Finanzfluss schickten die Kriminellen gezielt Empfehlungen für bestimmte Aktien, die normalerweise kaum gehandelt werden.
Opfer, die den vermeintlichen Experten vertrauten, kauften – und trieben die Kurse kurzfristig hoch. Die Täter, die bereits vorher eingestiegen waren, stiegen mit Gewinn aus. Danach brach der Kurs ein – wie im Fall eines Geschädigten, der 50.000 Euro verlor.
Diese Praxis, im Börsenjargon als Pump & Dump bekannt, ist illegal – aber schwer zu verfolgen, wenn sie auf anonymen Plattformen orchestriert wird und mit gefälschten Identitäten operiert. Die soziale Glaubwürdigkeit eines bekannten Gesichts wie Kehl wird damit zur Ware. Und zur Waffe.
Ein Konzern, der alles kann – aber wenig will?
Technisch, so Kehl, sei die Sache eindeutig lösbar. YouTube etwa filtert geklaute Inhalte schon vor dem Hochladen heraus. Auch Gesichtserkennung, KI-gestützte Erkennung und Bildvergleiche wären längst Stand der Technik. Doch Meta, so der Vorwurf, setze diese Werkzeuge gezielt nicht ein – weil sie unbequem oder geschäftsschädlich wären.
Ein Sprecher des Unternehmens verweist auf interne Prüfer und den Kampf gegen betrügerische Inhalte. Laut Konzernangaben wurden Anfang 2025 rund eine Milliarde Fake-Accounts erkannt – angeblich zu 99 Prozent von Metas eigenen Systemen. Doch konkrete Fragen zu Kehl und den Fake-Profilen ließ das Unternehmen unbeantwortet.
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Der Präzedenzfall Hirschhausen – Hoffnung vor Gericht
Hoffnung gibt Kehl ein Urteil vom Oberlandesgericht Frankfurt. Dort hatte sich Eckart von Hirschhausen erfolgreich gegen Meta gewehrt, nachdem sein Gesicht in KI-generierten Videos für dubiose Diätmittel missbraucht worden war. Der Fall zeigt: Die Gerichte beginnen, die Verantwortung der Plattformen klarer zu fassen.
Kehl will nun per Klage erreichen, dass Meta proaktiv verhindern muss, dass sein Name und seine Marke „Finanzfluss“ für Betrug herhalten. Er fordert eine Pflicht zur Vorab-Prüfung und besseren Identitätskontrollen. Die Klage könnte – sollte sie Erfolg haben – maßgebliche Konsequenzen für den gesamten Plattformbetrieb bedeuten.
Digitale Verantwortung ist kein freiwilliger Service
Der Fall Kehl steht exemplarisch für eine Entwicklung, die in Zeiten von KI, Deepfakes und unreguliertem Plattformkapitalismus an Brisanz gewinnt. Wer als Tech-Konzern Milliarden verdient, darf sich nicht hinter Maschinen und Geschäftsbedingungen verstecken. Es geht längst nicht mehr um Einzelfälle – sondern um Grundfragen digitaler Sicherheit und unternehmerischer Verantwortung.
Denn am Ende steht kein Avatar vor Gericht. Sondern Menschen wie Thomas Kehl, deren Gesichter zur Fassade für kriminelle Absichten gemacht werden. Und Plattformen, die sich entscheiden müssen: Für die Nutzer – oder fürs nächste Quartalsergebnis.
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