Brutto mehr, netto weniger
Die Verkäuferin ist zum Symbol geworden – für all jene, die arbeiten, rechnen und dennoch kaum vorankommen. 28.920 € brutto im Jahr verdient sie heute, laut Bundesagentur für Arbeit.
Klingt erst mal ordentlich. Doch inflationsbereinigt müsste sie eigentlich bei rund 31.800 € liegen, um denselben Lebensstandard zu halten wie eine Kollegin im Jahr 1979. Die Realität: Sie verdient real weniger – obwohl sie nominell mehr verdient. Und: Auch vom geringeren Bruttolohn bleibt netto weniger übrig.
Die stille Steuer: Sozialabgaben fressen das Gehalt
Ein besonders perfider Teil des Problems heißt Sozialversicherung. Während über Steuern heftig debattiert wird, steigen die Sozialabgaben meist lautlos – und unaufhaltsam.
Allein der Anteil für die gesetzliche Krankenversicherung stieg seit 1979 von 5,25 % auf heute 8,55 %. Die Pflegeversicherung? Gab es damals noch gar nicht. Heute kostet sie 2,4 % – zusätzlich.
Addiert man Renten- und Arbeitslosenversicherung dazu, ergibt sich ein Gesamtpaket von 22 % Sozialabgaben. Im Jahr 1979 waren es nur rund 15,25 %. Macht 6,75 Prozentpunkte Unterschied. Das klingt abstrakt – bedeutet aber konkret: Heute gehen rund 900 € mehr im Jahr an Sozialkassen als früher. Für dieselbe Arbeit.

Steuern sinken – aber helfen wenig
Die Einkommensteuer wiederum wurde gesenkt: Der Eingangssteuersatz fiel von 22 % auf 14 %. Der Grundfreibetrag ist heute dreimal so hoch wie damals. Auch Werbungskostenpauschale und Sonderausgabenpauschale wurden erhöht. Das wirkt – allerdings nicht genug, um die gestiegenen Sozialabgaben zu kompensieren.
Die Folge: Während unsere Beispielverkäuferin 1979 rund 66,2 % ihres Bruttogehalts netto behalten konnte, bleiben ihr heute nur 65,8 %. Der Unterschied scheint marginal – doch in Kaufkraft ausgedrückt, bedeutet das: Sie hat heute real 2049 € weniger zur Verfügung als damals. Das ist mehr als ein ganzer Monat Nettoverdienst.
Nicht nur die Abgaben steigen – die Löhne hinken hinterher
Die eigentliche Ohrfeige aber ist: Der größte Teil des Kaufkraftverlusts hat mit den Abgaben gar nichts zu tun. Nur 116 € jährlich entfallen auf die gestiegenen Beiträge zur Sozialversicherung und Einkommensteuer.
Der Löwenanteil – rund 1.933 € – liegt daran, dass die Löhne schlicht nicht mit der Inflation Schritt gehalten haben. In einem der reichsten Länder der Welt.
Mit anderen Worten: Wer heute in Deutschland als Verkäuferin arbeitet, wird real schlechter bezahlt als vor 45 Jahren. Trotz Produktivitätszuwachs, Wirtschaftswachstum, Digitalisierung und Globalisierung.
Ein strukturelles Problem mit System
Das Problem ist also doppelt: Auf der einen Seite steigen die Belastungen durch Sozialbeiträge stetig – ohne dass die Arbeitnehmer das direkt sehen oder politisch kontrollieren können.
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Auf der anderen Seite steigen die Löhne nicht ausreichend mit. Das Ergebnis: Trotz sinkender Arbeitslosigkeit und Rekordsteuereinnahmen bleibt beim Einzelnen weniger hängen. Und das betrifft längst nicht mehr nur Geringverdiener.
System aus der Balance
Deutschland leidet unter einem strukturellen Ungleichgewicht: Die Abgabenquote liegt bei über 40 % – eine der höchsten weltweit. Gleichzeitig wächst der Sozialstaat weiter. 2024 lagen die Sozialausgaben bei über einer Billion Euro – mehr als 30 % des BIP. Immer mehr Menschen zahlen ein, immer weniger profitieren.
Besonders perfide: Die Gruppe, die alles mitfinanziert, wird zwischen den Zahlen oft vergessen. Es sind die Erwerbstätigen mit mittlerem Einkommen – zu reich für Transfers, zu arm für Gestaltungsspielraum. Sie tragen den Sozialstaat, die Schuldenbremse und die Demografiekrise – gleichzeitig.
Was bleibt? Ein bitterer Trend
Wer heute 40 Stunden in Deutschland arbeitet, zahlt real mehr Abgaben als je zuvor, verdient inflationsbereinigt oft weniger und sieht sich einer Politik gegenüber, die die Herausforderungen meist nur verwaltet.
Das Versprechen „Leistung lohnt sich“ wirkt zunehmend brüchig. Wer dagegenhält, wird mit dem Verweis auf statistische Durchschnittslöhne abgespeist – die mit der Realität vieler nichts zu tun haben.
Und jetzt?
Es braucht einen grundlegenden Kurswechsel – in der Steuer- wie in der Sozialpolitik. Höhere Freibeträge, weniger Beitragserhöhungen, endlich eine strukturelle Reform der Pflege- und Rentenversicherung. Denn so, wie es heute läuft, geht es auf Dauer nicht weiter.
Wer 2025 arbeitet, sollte nicht schlechter dastehen als jemand, der 1979 gearbeitet hat. Doch genau das ist der Fall.
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