22. Juni, 2025

Automobile

Weniger Ego, mehr Effizienz – was Lkw-Bauer den Autobossen vormachen

Während VW, BMW und Mercedes mit milliardenteuren Eigenentwicklungen kämpfen, gründen Daimler Truck und Volvo ein gemeinsames Softwareunternehmen. Mit nur 50 Leuten. Und deutlich mehr Weitblick.

Weniger Ego, mehr Effizienz – was Lkw-Bauer den Autobossen vormachen
Während VW mit Cariad Milliarden verbrannte, starten Daimler Truck und Volvo ihr Software-Joint-Venture Coretura mit gerade einmal 50 Mitarbeitern – und deutlich klarer Strategie.

Coretura soll der neue Standard für Lkw-Software werden

In der Welt der Nutzfahrzeuge zeichnet sich ein Strategiewechsel ab, der auch in der Pkw-Industrie längst überfällig wäre: Kooperation statt Prestigeprojekt.

Mit dem Joint Venture Coretura legen Daimler Truck und die Volvo Group den Grundstein für eine gemeinsame, softwaredefinierte Lkw-Plattform – ein Schulterschluss, der vor allem eins signalisiert: Die Zeit der kostspieligen Alleingänge läuft ab.

Die beiden Schwergewichte der westlichen Lkw-Industrie wollen ihre Ressourcen bündeln, um ein zentrales Betriebssystem zu entwickeln, das künftig das „Herz und Gehirn“ ihrer Fahrzeuge werden soll. Startpunkt: 50 Mitarbeiter.

Investitionsrahmen: mehrere Hundert Millionen Euro. Ambition: einen Branchenstandard setzen – ohne sich dabei gegenseitig Marktanteile streitig zu machen.

Daimler Truck und Volvo Group unterzeichnen verbindliche Vereinbarung für Joint Venture zur Entwicklung einer softwaredefinierten Fahrzeugplattform
Wie im Mai dieses Jahres angekündigt, wollen Daimler Truck und die Volvo Group ein Joint Venture gründen, um eine gemeinsame software-definierte Fahrzeugplattform und ein dediziertes Lkw-Betriebssystem zu entwickeln, das die Grundlage für zukü…

Was Daimler und Volvo anders machen

Im Gegensatz zur Pkw-Konkurrenz setzen die beiden Nutzfahrzeughersteller nicht auf gigantische Inhouse-IT-Projekte mit mehreren tausend Mitarbeitern, sondern auf einen schlanken, agilen Aufbau.

„Es ist gut, dass wir mit 50 Leuten starten – nicht mit 5000“, sagt Daimler-Truck-Chefin Karin Radström nüchtern.

Was sie meint: Fokus vor Größenwahn.

Ziel sei eine Plattformarchitektur, die auf Hochleistungsrechnern basiert und einen modularen Software-Stack erlaubt – ähnlich wie ein Betriebssystem für Computer, nur auf Rädern. Bis 2027 sollen erste Fahrzeuge mit der Technologie rollen, ab Ende des Jahrzehnts dürfte sie flächendeckend Standard werden.

Was diesen Ansatz bemerkenswert macht: Während sich BMW, VW und Mercedes-Benz bei ihren Software-Offensiven entweder verzettelt, überworfen oder schlicht überhoben haben, setzen Daimler Truck und Volvo auf Kooperation, klare Rollenteilung und realistische Meilensteine.

Ein Blick auf die gescheiterten Vorbilder

Besonders deutlich wird das beim Vergleich mit den Versuchen der großen Autokonzerne. Volkswagen etwa wollte mit der Softwaretochter Cariad den Markt aufrollen – und scheiterte an internen Machtkämpfen, technologischer Selbstüberschätzung und fehlender Führung. Ergebnis: Milliardenverluste, 1600 Stellenstreichungen, Projektverzögerungen bis 2028.

Mit Coretura wollen Daimler Truck und Volvo nicht nur Kosten teilen – sie reagieren auch auf den zunehmenden Einfluss von Tech-Konzernen wie Nvidia und Qualcomm auf die Fahrzeugarchitektur.

BMW und Mercedes wiederum führten jeweils eigene Plattformprojekte durch – ebenfalls mit immensen Investitionen. Immerhin kommen nun erste Fahrzeuge mit zentralisierter Elektronik auf die Straße. Doch auch diese Systeme wurden separat entwickelt – und damit doppelt bezahlt. Kooperation? Fehlanzeige.

Der Grund ist oft banal: Eitelkeit, Alleingänge, Angst vor Kontrollverlust. Genau das will man bei Coretura vermeiden. „Das Extrem, alles selbst zu machen, kommt für uns nicht infrage“, sagt Coretura-Chef Johan Lunden. Es klingt wie eine stille Ohrfeige an die versammelte deutsche Autoelite.

Ein Unternehmen, das sich nicht überschätzt

Tatsächlich klingt das neue Unternehmen auffällig vernünftig. Kein Start-up, das mit Versprechen um sich wirft. Kein Tech-Player, der Investoren mit Milliardenbewertungen ködert. Sondern ein Joint Venture mit klarer Aufgabe: eine verlässliche, offene Plattform bauen – für die Hersteller selbst, aber perspektivisch auch für Dritte.

Und: Coretura soll nicht nur einkaufen und koordinieren, sondern selbst entwickeln. Stück für Stück, mit kontrolliertem Wachstum. Die 50 Mitarbeiter sind kein Limit, sondern ein Anfang. Die Firma soll langfristig als technischer Architekt agieren – bei der Auswahl von Chips, beim Aufbau der Softwarestruktur und bei der Anbindung neuer Funktionen.

Dabei ist der Name Programm: Coretura setzt sich aus „core“ (Kern) und „ventura“ (Zukunft) zusammen. Der Kern der Zukunft also – nicht weniger wollen Daimler Truck und Volvo bauen. Aber eben ohne Hybris.

Wirtschaftlich notwendig – strategisch überfällig

Die Entscheidung für eine gemeinsame Plattform ist nicht nur strategisch clever, sondern wirtschaftlich zwingend. Die Nutzfahrzeugbranche steht unter massivem Investitionsdruck: Batterieantriebe, Wasserstoffsysteme, neue Softwarearchitekturen – all das kostet Milliarden. Gleichzeitig sind die Margen im Lkw-Sektor deutlich enger als bei hochpreisigen SUV-Modellen mit Ledersitzen.

Dass Daimler Truck und Volvo ihre Ressourcen zusammenlegen, ist nicht Ausdruck von Schwäche, sondern von Rationalität. Radström spricht offen von einer „sehr kapitalintensiven Phase“. Und einem „Systemwechsel“, der allein kaum zu stemmen sei.

Im Ergebnis könnte genau hier entstehen, woran die großen Pkw-Konzerne bislang scheiterten: eine verlässliche, skalierbare Softwareplattform für Fahrzeuge – ohne gegenseitige Kannibalisierung, ohne politische Ränkespiele, ohne Kontrollverlustängste.

Ein Modell für die Industrie?

Noch ist unklar, ob andere Hersteller dem Beispiel folgen. Der Druck steigt jedenfalls. Halbleiterkonzerne wie Nvidia, Qualcomm und Infineon warten nicht auf deutsche Plattform-Standards – sie liefern, was der Markt verlangt. Wer als OEM nicht mitzieht, wird vom Zulieferer zum Zuschauer.

Coretura hingegen will den Takt selbst bestimmen. Es geht um technische Unabhängigkeit – aber nicht durch Abgrenzung, sondern durch Kooperation. Und das unterscheidet diese Partnerschaft von fast allem, was die Pkw-Industrie in den letzten zehn Jahren an Softwareprojekten aufgesetzt hat.

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