Der Rückzug war ein Bruch, keine Abkehr vom Markt
Deutschlands Insurtech-Szene war lange eng mit dem Namen Wefox verbunden. Umso überraschender wirkte 2024 der Rückzug aus dem Heimatmarkt, flankiert von Verkäufen, Restrukturierungen und einem drastischen Strategiewechsel. Beim „Handelsblatt Insurance Summit“ in Düsseldorf deutet CEO Joachim Müller nun an, dass dieser Ausstieg kein endgültiger Schritt gewesen sein muss. Eine Rückkehr sei möglich, „wenn sich Chancen ergeben“ – allerdings nicht um den Preis eines erneuten Fehlschlags.

In seiner Analyse benennt Müller die Gründe klar: Wefox habe in Deutschland kein überlegenes Kundenerlebnis geboten, das Modell habe operativ nicht getragen. Der Rückzug sei daher nicht Symbol eines Scheiterns der Idee, sondern die Konsequenz aus einem missglückten Geschäftsansatz.
Ein Insurtech verliert die Kontrolle – und kämpft sich zurück
Die Liste der Rückschläge seit Anfang 2024 ist lang. Der Abgang von Gründer Julian Teicke, beschädigt durch interne Vorwürfe und schwere Kritik an seinem Führungsstil. Der kurze Führungswechsel zu Mark Hartigan, begleitet von Konflikten im Gesellschafterkreis und dem Verdacht, er wolle sich über Verkäufe von Firmenanteilen profilieren. Verkäufe, Zerwürfnisse, Insolvenzgerüchte – es war eine Phase, in der Wefox vom europäischen Vorzeige-Insurtech zum Restrukturierungsfall wurde.

Die Kehrtwende begann im Herbst 2024, als der frühere Allianz-Manager Müller die Sanierung übernahm. Er selbst spricht davon, sich „breitschlagen“ lassen zu haben – trotzdem verfolgt er einen langfristigen Plan. Sein Ziel: dem Unternehmen einen „zweiten Frühling“ zu ermöglichen, bevor es endgültig von der Bildfläche verschwindet.
Drei Kernmärkte statt globaler Expansion
Der Neuanfang basiert auf Konzentration. Wefox fokussiert sich auf die Niederlande, Österreich und die Schweiz, drei Märkte, in denen das Unternehmen nach eigenen Angaben eine starke Position hat. Der Rest wurde abgestoßen. Was früher als Wachstumsdrang firmierte, entpuppte sich rückblickend als Überdehnung.
Die 151-Millionen-Euro-Finanzierungsrunde im Juli 2025 bewertet Müller als Bestätigung der neuen Strategie. Investoren hätten dem Plan zugestimmt – sonst, so der CEO, wäre das Kapital längst versiegte. Für ein Insurtech, das noch vor Kurzem um sein Überleben rang, ist das eine bemerkenswerte Wende.
Das Geschäftsmodell rückt in Richtung Assekuradeur
Wefox setzt heute stärker auf eine Rolle, die in der Branche seit Jahren an Bedeutung gewinnt: das Assekuradeurs-Modell. Der Anbieter übernimmt Aufgaben eines Versicherers, trägt aber kein eigenes Risiko und arbeitet auf Rechnung etablierter Gesellschaften. Die Kombination aus Underwriting-Kompetenz und digitalem Vertrieb soll das Unternehmen auf Kurs bringen – und zugleich die Abhängigkeit von maklergetriebenem Wachstum reduzieren.
Müller betont, dass professionelles Underwriting über den Erfolg der kommenden Jahre entscheidet. Es ist eine nüchterne, risikoorientierte Sicht, die sich deutlich von der Aufbruchsrhetorik der Gründerzeit unterscheidet.

Der Weg zur Profitabilität entscheidet über die Zukunft
Wefox rechnet damit, bereits in diesem Jahr ein zweistelliges positives Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen zu erzielen. Für ein Insurtech, das zuvor über eine Milliarde Dollar Kapital verbrannt hat, wäre dies ein entscheidender Wendepunkt. Müller formuliert es offen: Nur wachsende und profitable Modelle hätten eine langfristige Daseinsberechtigung.
Dass intern Ruhe eingekehrt ist, nachdem das Gründerteam um Teicke den Verwaltungsrat verlassen hat, erleichtert diese Neuorientierung. Die Frage ist nun, ob das Unternehmen eine nachhaltige operative Basis schaffen kann – und ob der europäische Markt bereit ist für den nächsten strategischen Schritt.
Deutschland bleibt der schwierigste, aber nicht der unmöglichste Markt
Der deutsche Markt ist groß, reguliert und anspruchsvoll – und damit für digitale Versicherer gleichzeitig attraktiv und riskant. Die Frage, ob Wefox zurückkehrt, wird sich weniger an politischer Symbolik entscheiden als an der Fähigkeit des Unternehmens, ein überzeugendes Produkt zu liefern, das die Schwächen der Vergangenheit hinter sich lässt.
Für Müller ist klar: Ein Wiedereinstieg kommt nur in Betracht, wenn er wirtschaftlich trägt und die Strukturen stimmen. Das unterscheidet seine Position von der Wachstumsfixierung früherer Jahre – und deutet darauf hin, dass Wefox 2025 nicht mehr das gleiche Unternehmen ist wie 2024.
Die Option bleibt auf dem Tisch. Der Zeitpunkt ist offen. Und die Branche schaut genau hin, ob der versprochene „zweite Frühling“ tatsächlich beginnt.




