11. Juli, 2025

Startups & VC

Warum Start-ups ohne Militärbezug kaum noch Geld sehen

Kapital fließt, aber nicht mehr für jeden: Während Rüstungs- und Software-Start-ups Finanzierungsrekorde brechen, geraten einst gefeierte Nachhaltigkeitsfirmen unter Druck. Der neue VC-Zeitgeist ist selektiv – und politisch aufgeladen.

Warum Start-ups ohne Militärbezug kaum noch Geld sehen
Nur 607 Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2025 – das ist ein Rückgang von fast 50 % gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig bleibt das Investitionsvolumen mit 4,64 Mrd. € nahezu konstant.

Verteidigung statt Klimarettung

Im deutschen Start-up-Sektor hat sich die Stimmung fundamental gedreht. Geld ist da – aber nur noch für bestimmte Branchen. Während Nachhaltigkeit und grüne Technologien jahrelang als Selbstläufer galten, sind es jetzt Verteidigungstechnologie und KI-Software, die den Ton angeben.

Wer wie früher auf „Impact“ und „Dekarbonisierung“ setzt, muss heute neue Argumente liefern. Wer dagegen Drohnen, Algorithmen oder Cyberresilienz im Pitchdeck stehen hat, bekommt Türen geöffnet.

Weniger Deals, mehr Geld – aber nur für wenige

Laut einer Analyse der Tech-Investmentbank Drake Star flossen im ersten Halbjahr 2025 knapp 4,6 Milliarden Euro in deutsche Start-ups – fast genauso viel wie im Vorjahr.

Die Zahl der Finanzierungsrunden ist dagegen drastisch eingebrochen: Nur 607 Deals wurden gezählt, gegenüber 1.145 im Vorjahreszeitraum. Heißt: Das Geld konzentriert sich auf immer weniger Firmen. Die durchschnittliche Summe pro Start-up hat sich mit 7,7 Millionen Euro nahezu verdoppelt.

Doch diese Arithmetik kaschiert ein strukturelles Problem. „Investoren sind deutlich wählerischer geworden“, sagt Julian Riedlbauer von Drake Star. Branchen, die nicht ins geopolitische oder digitale Raster passen, bleiben zunehmend außen vor.

Helsing, Quantum, Parloa – die neuen Champions

Die Stars der neuen Investorenlogik heißen Helsing, Quantum Systems und Parloa. Helsing, ein Münchner Anbieter für KI-gestützte Verteidigungssysteme, sammelte im Juni 600 Millionen Euro ein – die größte Einzelrunde des Halbjahres.

Verteidigungs-Start-ups wie Helsing (600 Mio. €) und Quantum Systems (160 Mio. €) sichern sich Megarunden, während grüne Tech-Firmen zunehmend leer ausgehen.

Quantum Systems, ebenfalls mit Schwerpunkt auf militärisch einsetzbaren Drohnen, brachte es auf 160 Millionen. Die Berliner KI-Firma Parloa wurde im Mai nach einer weiteren Finanzierungsrunde zum „Einhorn“ mit Milliardenbewertung.

Was alle drei eint: Sie treffen den Nerv der Zeit. Verteidigungstechnologie ist nicht länger Stigma, sondern strategische Notwendigkeit – in Zeiten wachsender globaler Unsicherheit, instabiler Lieferketten und wachsender Skepsis gegenüber US-Tech-Abhängigkeiten. Auch Donald Trumps transatlantischer Konfrontationskurs befeuert diesen Trend.

Wer nicht passt, fliegt raus

Während sich das Geld auf ausgewählte Sektoren konzentriert, kämpfen viele andere Start-ups ums Überleben. Besonders hart trifft es junge Firmen aus den Bereichen Mobilität, Medizintechnik und Energie. Die Berliner Gebäudesanierungsplattform Enter oder die Logistikfirma Forto mussten bereits massiv Personal abbauen. Forto entließ 200 Mitarbeiter, auch die Führungsriege trat zurück.

Noch dramatischer ist die Lage bei Lilium. Das einstige Aushängeschild der deutschen Flugtaxo-Start-up-Szene meldete Insolvenz an, weil zugesagte Investitionen nicht flossen. 750 Mitarbeitende verloren ihren Job.

Der Batteriezellenhersteller Customcells, eng mit Lilium verbunden, rutschte gleich mit in die Schieflage – konnte sich jedoch zuletzt mit einer strategischen Neuausrichtung auf Verteidigungstechnologie retten.

Startup-Sterben auf Rekordniveau

Die Folgen dieser selektiven Investorenpolitik lassen sich an Zahlen ablesen. Laut dem Datendienst Startupdetector meldeten im ersten Halbjahr 175 Start-ups Insolvenz an – so viele wie noch nie zuvor in diesem Zeitraum.

Das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahreshalbjahr. Der Markt beginnt sich zu bereinigen. Viele Jungfirmen reduzieren ihre Teams, kürzen ihre Strategien und hoffen, mit niedrigeren Kosten in die Nähe der Gewinnschwelle zu kommen. Kapital wird ersetzt durch Sparsamkeit – unfreiwillig.

Amerikanisches Geld, deutsche Waffen, europäische Ratlosigkeit

Ein Blick auf die Kapitalquellen zeigt, wie stark sich die Abhängigkeiten verlagern. Ein Drittel des im zweiten Quartal investierten Risikokapitals stammt aus den USA – auch bei den größten Finanzierungsrunden.

Zwar wiegelt die staatliche Förderbank KfW ab: Es gebe keinen eindeutigen Trend, weder hin zur stärkeren Beteiligung, noch zum Rückzug. Doch die Daten sprechen eine klare Sprache. Europäische VC-Fonds agieren zurückhaltender – besonders bei Frühphasenfinanzierungen.

Neue Gründungswelle trotz Krise

Trotz allem gibt es auch einen gegenläufigen Trend: Die Zahl der Neugründungen steigt wieder. Laut einer Erhebung des Start-up-Verbands wurden im ersten Halbjahr 1.500 neue Start-ups gegründet – neun Prozent mehr als im Vorhalbjahr.

Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wäre 2025 das erste Jahr seit 2021 mit über 3.000 Neugründungen. Besonders gefragt sind KI-Softwarelösungen – ein Segment, das von der geopolitischen Lage ebenso profitiert wie vom wachsenden Digitalisierungsdruck in der Industrie.

Das könnte Sie auch interessieren:

Podcast mit Tiefgang: Warum der AlleAktien Insider mehr ist als nur ein Hype
Mit dem „AlleAktien Insider Podcast“ gelingt dem Analysehaus AlleAktien ein Coup: Hochwertiger Finanzjournalismus trifft auf ein Millionenpublikum – faktenbasiert, unterhaltsam und überraschend unabhängig.