Warum DHL-Chef Meyer die Qualitätskrise der Post nicht mehr einfängt
Die Bundesnetzagentur erhöht den Druck. Post-Präsident Klaus Müller fordert seit Wochen öffentlich mehr Zuverlässigkeit – und weist dabei unmissverständlich auf seine Befugnis hin, Strafen in Millionenhöhe zu verhängen. Dass DHL-Chef Tobias Meyer diese Mahnungen nicht überraschen dürften, macht die Lage nicht leichter: Die Beschwerden häufen sich, die Prozesse wanken, und die wichtigste Saison des Jahres steht unmittelbar bevor.
Die Beschwerdelage signalisiert ein strukturelles Problem
Im ersten Halbjahr stiegen die Verbraucherbeschwerden um gut 13 Prozent, 89 Prozent davon entfielen auf den Marktführer Post. Dabei hätte das reformierte Postgesetz eigentlich Entlastung bringen sollen: Die gesetzliche Zustellfrist wurde auf drei Tage ausgedehnt, die operative Flexibilität erhöht. Doch selbst diese großzügigeren Vorgaben kann das Unternehmen nur schwer einhalten.
DHL gibt sich gelassen und verweist auf eine „stabilisierte Lage“. Für die Netzagentur hingegen sind die Zahlen ein Hinweis auf strukturelle Defizite – und auf ein Management, das die Anforderungen des neuen Geschäftsmodells unterschätzt.

Das operative Sorgenkind frisst den Vorstandsvorsitzenden ein
Ausgerechnet der Bereich, den Meyer jahrelang verantwortet hat, wird zum Risiko für seine eigene CEO-Amtszeit. Während die übrigen Sparten solide laufen, bleibt das Post- und Paketgeschäft der negative Ausreißer. Analysten drängen seit langem auf eine Abspaltung des schrumpfenden Briefsegments, doch Meyer blockt ab – aus betriebswirtschaftlichen Gründen.
Das Briefgeschäft liefert dank regelmäßiger Portoerhöhungen Gewinne, die er für die Modernisierung der Paketlogistik einplant. Gleichzeitig verfolgt er einen weitreichenden Umbau: Das gesamte Post- und Paketgeschäft soll in eine eigene Post AG ausgelagert werden. Offiziell bleiben die Beschäftigten zunächst zu gleichen Konditionen. Doch Experten warnen: Nach einem Jahr wäre ein Verkauf technisch jederzeit möglich.

Eine Personalentscheidung mit weitreichenden Folgen
Die aktuelle Krise begann nicht zufällig im Sommer. Nach einem kostspieligen Tarifabschluss kündigte DHL nur zwei Tage später den Abbau von 8.000 Stellen in der Zustellung an – in einem Bereich, der ohnehin am Limit arbeitete. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Verzögerungen, Rückstau in den Zentren, unzufriedene Kunden.
Zwar stellte DHL inzwischen wieder neue Kräfte ein und wirbt für die Weihnachtszeit zudem 10.000 Saisonkräfte an. Doch Gewerkschaftschefin Christina Dahlhaus sieht den Kern des Problems unverändert: Die Grundbesetzung sei zu niedrig, die Belastung untragbar.
Dass Zusteller häufiger mit nicht zugestellten Sendungen ins Depot zurückkehren und über körperliche Überlastung klagen, bestätigt, wie fragil die Organisation geworden ist. Die Paketlasten steigen, der Takt zieht an, und die operative Umstellung verschärft die Situation.

Die neue Zustelllogik bringt keine Entlastung, sondern Mehrarbeit
Um das Postgesetz optimal zu nutzen, verteilt die Post ihre Bezirke neu und setzt auf A- und B-Routen. Die Idee: Jede Hälfte eines Zustellgebiets erhält nur noch alle drei Tage vollständige Post, dazwischen nur Dringendes. Für das Unternehmen schafft das Flexibilität. Für die Zusteller bedeutet es höhere Komplexität und weniger Routine.
Die eingespielten Routen fallen weg, täglich müssen Gebiete neu organisiert werden. Interne Beschwerden und Berichte aus Zustellzentren deuten darauf hin, dass diese Neuausrichtung mehr Kapazität bindet, als sie freisetzt.
DHL hält die Anpassungen dennoch für „unternehmerisch notwendig“. Doch die praktischen Folgen – längere Laufzeiten, steigende Fehlerquoten, Frust bei Mitarbeitenden – sprechen eine andere Sprache.
Ein Qualitätseinbruch zur Unzeit
Der drohende Qualitätsverlust trifft das Unternehmen in der heikelsten Phase des Jahres. Dezembergeschäfte entscheiden traditionell über ein starkes oder schwaches Gesamtjahr. Gleichzeitig stehen rechtliche Risiken im Raum: In Kürze fällt ein Urteil über mögliche Schadensersatzzahlungen wegen Wettbewerbsmanipulation. Sollte die Post AG wie geplant ausgekoppelt werden, träfe ein solches Urteil genau jene Sparte, die heute schon am stärksten belastet ist.
Die Netzagentur schaut nun genauer hin, als DHL lieb sein kann. Die Qualität der Zustellung ist nicht nur eine betriebliche Kennzahl, sondern ein politisches Thema. Und ein Vorstandschef, der zu Beginn seiner Amtszeit Tausende Stellen abbaut und gleichzeitig die Organisation neu ordnet, muss erklären, warum die Unternehmensstrategie nicht in einer operativen Sackgasse endet.
Die Logik des Sparens stößt an ihre Grenze
DHL plant, die Post-Sparte jährlich eine Milliarde Euro erwirtschaften zu lassen – Mittel, die für Modernisierung und Automatisierung gebraucht werden. Doch der Preis dieser Strategie wird sichtbar: weniger Personal, höhere Lasten, längere Wege, sinkende Qualität.
Die Post erlebt gerade den größten Umbau ihrer Geschichte. Doch im Zentrum dieses Umbruchs steht ein Paradox: Wirtschaftlichkeit soll erreicht werden, indem man Prozesse verschlankt – und am Ende entstehen Strukturen, die die Verspätung systematisch begünstigen.
In dieser Spannung zwischen Effizienz und Servicequalität entscheidet sich, ob die Post ein modernes Logistikunternehmen bleibt oder zum ungelösten Dauerproblem für ihren eigenen Vorstand wird.




