02. Mai, 2025

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Warum deutsche Unternehmen bei internationaler Rekrutierung versagen

Trotz wachsendem Arbeitskräftemangel scheuen deutsche Unternehmen systematisch den Blick über die Landesgrenzen. Neue Zahlen zeigen: Die Digitalisierung der Fachkräfteeinwanderung allein wird nicht reichen – ein Mentalitätswandel bleibt überfällig.

Warum deutsche Unternehmen bei internationaler Rekrutierung versagen
Trotz dramatischem Fachkräftemangel bleiben internationale Rekrutierungen die Ausnahme: Weniger als 4 % der Stellenanzeigen werden auf Englisch geschaltet.

Deutschland altert – und die Wirtschaft sieht zu. Während Politik und Wirtschaftsbosse öffentlich Alarm schlagen, bleiben viele Unternehmen bei der Suche nach Arbeitskräften im Ausland erstaunlich passiv.

Eine exklusive Auswertung von Index Research zeigt: Nur 3,6 Prozent aller Stellenanzeigen wurden im ersten Quartal 2025 auf Englisch ausgeschrieben. Und das, obwohl der Fachkräftemangel längst zum größten Standortproblem geworden ist.

Arbeitskräftemangel trifft auf Rekrutierungsblockade

Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung aus CDU, CSU und SPD wird das Thema Fachkräfteeinwanderung prominent behandelt. Neben einer stärkeren Zentralisierung und Digitalisierung der Verfahren – Stichwort „Work-and-Stay-Agentur“ – verspricht die Koalition, Unternehmen besser in die Prozesse einzubinden.

Nötig wäre es: Laut einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung haben mehr als zwei Drittel der deutschen Unternehmen bereits heute Fachkräfteengpässe – und erwarten eine weitere Verschärfung.

Doch trotz dieser Aussicht auf eine zunehmend prekäre Arbeitsmarktlage bleibt die internationale Suche die Ausnahme. Weniger als jedes fünfte Unternehmen bemüht sich überhaupt um Personal aus dem Ausland.

Bei Auszubildenden sinkt die Quote sogar auf erschreckende fünf Prozent. Die Chance, talentierte Köpfe aus Drittstaaten anzuziehen, bleibt damit vielerorts ungenutzt.

Statt Brain-Gain aus den USA zu nutzen, schrumpft die Zahl international beworbener Stellen in Forschung und Entwicklung um 20 % – eine verpasste Chance.

Digitalisierung reicht nicht – es fehlt der Wille

Dass Schwarz-Rot mit digitalen Lösungen punkten will, klingt gut auf dem Papier. Aber Digitalisierung allein wird wenig ausrichten, wenn die Arbeitgeber selbst keine Bereitschaft zeigen, internationale Talente einzustellen.

Die tiefsitzende Skepsis ist strukturell: Unternehmen fürchten Sprachbarrieren, Unsicherheiten bei der Anerkennung von Qualifikationen und zusätzlichen Verwaltungsaufwand.

Gerade im Bauwesen, Handwerk oder der Pflege, wo der Fachkräftemangel am dramatischsten ist, bleibt die Internationalisierung der Belegschaften ein ferner Traum. Lediglich 0,14 Prozent der ausgeschriebenen Stellen im Bauwesen und 0,5 Prozent in der Pflegebranche sind derzeit auf Englisch inseriert – ein Armutszeugnis für eine Wirtschaft, die angeblich händeringend Personal sucht.

Brain Drain: Deutschlands verpasste Chance

Besonders brisant: Während die USA unter Donald Trump wissenschaftliche Freiheiten einschränken und hochqualifizierte Fachkräfte aus Forschung und Entwicklung aus dem Land drängen, bietet sich Deutschland die historische Gelegenheit zum Brain Gain.

Doch statt attraktive Perspektiven zu schaffen, sinkt hierzulande sogar die Zahl der englischsprachigen Stellen in Hochtechnologie- und Forschungsfeldern – ein Minus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

München, Berlin und Frankfurt bleiben die wenigen Lichtblicke, wo internationale Ausschreibungen im niedrigen zweistelligen Prozentbereich liegen. Aber im Rest der Republik, etwa in Sachsen-Anhalt oder Thüringen, bleibt die Internationalisierung der Arbeitswelt Wunschdenken.

Deutschlands Zukunft entscheidet sich am Arbeitsmarkt

Es ist kein Geheimnis: Ohne Zuwanderung wird Deutschland weder seinen Wohlstand noch seine Innovationskraft erhalten können. In den kommenden zehn Jahren wird die demografische Lücke unaufhaltsam wachsen – über vier Millionen Menschen mehr werden den Arbeitsmarkt verlassen, als junge Erwerbstätige nachrücken.

Wirtschaft, Politik und Verwaltung müssen begreifen: Internationale Rekrutierung ist keine Option mehr, sie ist Überlebensstrategie. Wer weiterhin zögert, wird im internationalen Wettbewerb um Talente scheitern – mit gravierenden Folgen für Wachstum, Sozialsysteme und Standortqualität.

Ein modernes Einwanderungsrecht und digitale Plattformen sind wichtig. Doch der wahre Schlüssel liegt in einem Mentalitätswandel. Unternehmen müssen bereit sein, internationale Fachkräfte nicht nur als Lückenfüller, sondern als Chance zu begreifen. Sonst wird aus dem Fachkräftemangel ein Strukturproblem, das sich nicht mehr reparieren lässt.

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