Ein Machtwechsel mit Ansage
Es kam nicht überraschend – nur früher als erwartet. Telefónica Deutschland, besser bekannt unter der Marke O2, steht vor einem Führungswechsel.
Markus Haas, seit 2017 Vorstandschef und seit fast 30 Jahren im Unternehmen, soll seinen Posten räumen.
Der Aufsichtsrat unter Leitung von Peter Löscher bereitet laut Unternehmensangaben die „geordneten Gespräche über eine Vertragsauflösung“ vor.
Intern gilt die Entscheidung als längst gefallen. Die Muttergesellschaft in Madrid drängt auf einen personellen Neuanfang. Telefónica-CEO Marc Murtra will auf dem Kapitalmarkttag Anfang November eine neue Strategie vorstellen – und die soll ohne Haas auskommen. Ende Oktober soll der Aufsichtsrat in München die Weichen offiziell stellen.

Ironisch: Erst im Februar hatte der Konzern den Vertrag des 53-Jährigen um drei Jahre verlängert – bis Ende 2028. Nun droht das abrupte Ende einer Ära.
Ein Aufsteiger, der den Konzern prägte
Haas’ Karriere ist fast ein Musterbeispiel für den klassischen Aufstieg im deutschen Konzerngefüge. Der gebürtige Münchner begann in den 1990er-Jahren als Jurist im damaligen Viag Interkom, dem Vorläufer von O2. Er begleitete die Fusionen, den Markteintritt des spanischen Telekomriesen Telefónica und schließlich die Integration von E-Plus.
2017 übernahm er die Führung von Telefónica Deutschland – in einer Zeit, in der der Konzern unter Druck stand. Der Netzausbau hinkte hinterher, das Image war schwach, die Konkurrenz durch Telekom und Vodafone groß.
Unter Haas verbesserte sich das Netz spürbar. Interne Analysen und externe Tests bescheinigten O2 zuletzt ein stabiles und konkurrenzfähiges Netz – ein Erfolg, den ihm selbst Kritiker zugestehen. Doch das reichte offenbar nicht mehr.

Das Ende einer Partnerschaft – und der Anfang der Zweifel
Ausschlaggebend für den Stimmungsumschwung war der Verlust eines zentralen Partners: der Telekommunikationsanbieter 1&1.
Jahrelang nutzte 1&1 das Netz von Telefónica, zahlte dafür hohe Gebühren – ein verlässlicher dreistelliger Millionenumsatz. Doch nun wechselt 1&1 zu Vodafone.
Dieser Bruch wiegt schwer. In Madrid sieht man darin mehr als nur einen geschäftlichen Verlust. Es ist ein strategisches Signal: Telefónica habe einen Ankerkunden verloren, weil die Partnerschaft nicht zukunftsfähig genug gestaltet wurde.
Für Haas ist das ein doppelter Schlag – wirtschaftlich und symbolisch. Denn er hatte die Kooperation einst selbst ausgehandelt.
Spanischer Druck, deutscher Widerstand
In der Zentrale in Madrid herrscht seit Monaten eine neue Tonlage. CEO Marc Murtra, der den Konzern 2023 übernahm, verfolgt eine aggressive Wachstumsstrategie. Seine Botschaft an die Länderchefs: Effizienz, Geschwindigkeit, klare Ergebnisse.
In Deutschland aber lief vieles traditionell – solide, aber langsam. Haas gilt als analytischer Stratege, weniger als Umsetzer. In Madrid wird das zunehmend als Bremse empfunden.
„Die Geduld ist aufgebraucht“, heißt es aus Konzernkreisen. Die spanische Führung will Ergebnisse sehen – und jemanden, der sie liefert.
Ein zweiter Vorstand steht ebenfalls vor dem Aus
Nicht nur Haas muss um seinen Posten fürchten. Auch Vorstand Alfons Lösing, zuständig für Partnerschaften, soll laut Insidern gehen. Für ihn steht offenbar bereits ein Nachfolger bereit: Jörg Kablitz, bisheriger Manager im Wholesale-Bereich.
Damit droht eine größere Umbauphase im Vorstand. Telefónica will den deutschen Ableger neu ausrichten – weniger Hierarchie, mehr operative Verantwortung. Die Strategie ist klar: Weniger Verwaltung, mehr Tempo.
Eine Bilanz mit Licht und Schatten
Unter Haas wuchs Telefónica Deutschland solide, aber unspektakulär. Der Umsatz stagniert seit Jahren zwischen 8 und 8,5 Milliarden Euro.
Zwar konnte O2 Marktanteile gewinnen, doch das Kerngeschäft – der Mobilfunk – ist hart umkämpft, die Margen dünn.
Der entscheidende Nachteil: Anders als Telekom oder Vodafone verfügt Telefónica in Deutschland über kein eigenes Festnetz. Das Unternehmen mietet Leitungen an, zahlt also, wo die Konkurrenz verdient. Das macht das Geschäftsmodell anfällig.

Zugleich hinkt O2 beim Ausbau des Glasfasernetzes hinterher. Während Telekom und Vodafone Milliarden in Infrastruktur investieren, setzt Telefónica auf Kooperationen. Eine Strategie, die kurzfristig Kapital schont, langfristig aber Abhängigkeiten schafft.
Ein Unternehmen im Übergang
Telefónica steht damit vor einer Richtungsentscheidung. Der deutsche Markt ist einer der wichtigsten im Konzern – und zugleich einer der schwierigsten.
Die Frage ist nicht nur, wer Markus Haas ersetzt, sondern wie der Nachfolger das Unternehmen neu positionieren soll.
Wird O2 wieder stärker auf Partnerschaften setzen – oder endlich eine eigene Infrastrukturstrategie verfolgen?
Wird der Konzern auf Wachstum durch Technologie setzen – oder auf Profitabilität durch Kostensenkung?
Insider deuten an, dass die Zentrale in Madrid mehr „Eigenständigkeit durch Integration“ will: also mehr interne Wertschöpfung, weniger Zukauf.

Markus Haas: der letzte Vertreter der alten Telefónica-Schule
In der Belegschaft gilt Haas als loyal, kontrolliert, integer. Viele sehen ihn als letzten Vertreter einer Generation, die Telefónica von einem Herausforderer zu einem etablierten Netzbetreiber gemacht hat.
Doch genau darin liegt das Problem. Die neue Konzernführung sucht kein Bewahrertum, sondern Disruption.
Haas steht für Stabilität – Madrid aber will Geschwindigkeit.
Das Risiko des Neuanfangs
Der geplante Wechsel birgt Risiken. Telefónica Deutschland steht mitten im Wettbewerb um Marktanteile, während gleichzeitig die Netzinvestitionen steigen und die Regulierung verschärft wird.
Ein abrupter Führungswechsel könnte Unsicherheit in der Organisation erzeugen – vor allem, wenn gleichzeitig mehrere Vorstände gehen.
Doch der Druck aus Spanien ist groß. Der Kapitalmarkttag im November gilt als Deadline: Bis dahin soll der Umbau stehen, damit Investoren überzeugt werden können, dass Telefónica auch in Europa wieder wachsen kann.
Eine Zäsur mit Signalwirkung
Der mögliche Abgang von Markus Haas markiert mehr als einen Personalwechsel. Es ist eine Zäsur in der europäischen Telekombranche.
Telefónica will raus aus dem Schatten der Wettbewerber – mit einer aggressiveren, zentralisierten Strategie. Deutschland ist dabei das Testfeld.
Haas hat das Unternehmen durch schwierige Jahre geführt – solide, aber ohne große Vision.
Nun übernimmt Madrid das Steuer direkt. Die Frage ist nur: Wird der Kurswechsel Telefónica wirklich beschleunigen – oder den Konzern aus dem Gleichgewicht bringen?
Sicher ist nur eines: Die Ära Haas endet so, wie sie begonnen hat – in einer Branche, die sich schneller verändert, als ihre Chefs reagieren können.
