Zentralisierung in Frankfurt – ein Konzern dreht an den Stellschrauben
Seit Monaten setzt Lufthansa-Chef Carsten Spohr auf „Synergien“. Was im Konzernsprech nach nüchterner Effizienz klingt, bedeutet in der Praxis: Arbeitspakete wandern von den Töchtern in die Zentrale.
Nun trifft es die Swiss. IT-Systeme und Streckenplanung – beides Herzstücke des Flugbetriebs – sollen künftig in Frankfurt gebündelt werden. Für die Lufthansa bedeutet das geringere Kosten und einheitlichere Abläufe. Für die Mitarbeitenden in Zürich ist es hingegen ein Menetekel: Wer heute noch den Flugplan optimiert, könnte morgen überflüssig sein.
Die Gratwanderung des Swiss-Chefs
Jens Fehlinger, seit 2024 an der Spitze der Swiss, versucht zu beschwichtigen. „Wir bleiben eine eigenständige Airline mit Marke und Management in Zürich“, betont er.
Doch im selben Atemzug räumt er ein: „Es wäre naiv, Reduktionen beim Personal auszuschließen.“ Mit solchen Sätzen läuft er auf einem schmalen Grat. Denn in der Schweiz, wo Swiss als nationale Airline nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional tief verwurzelt ist, gelten Jobverluste schnell als Angriff auf die Identität.
Eigenständigkeit auf dem Prüfstand
Offiziell beteuert die Lufthansa-Gruppe immer wieder die Eigenständigkeit ihrer Töchter – Swiss in Zürich, Austrian Airlines in Wien, Brussels Airlines in Belgien. Doch die Realität sieht zunehmend anders aus. Aufgaben werden in Frankfurt konzentriert, Entscheidungen laufen über Spohrs Vorstand.

Kritiker sprechen längst von einer „Zentralisierung durch die Hintertür“. Für Swiss könnte das bedeuten: weniger strategische Autonomie, mehr Abhängigkeit. Schon heute werden Flugzeugbestellungen, IT-Strukturen und selbst Catering-Verträge auf Konzernebene entschieden.
Ökonomischer Druck als Treiber
Die Lufthansa steckt nach wie vor im Umbau. Zwar haben sich Passagierzahlen und Umsätze nach der Pandemie erholt, doch die Profitabilität bleibt unter Druck.
Der Wettbewerb durch Billigflieger in Europa und staatlich subventionierte Airlines aus dem Nahen Osten zwingt den Konzern, an allen Stellschrauben zu drehen. Dass nun selbst bei der Swiss – lange als Vorzeigetochter und Gewinnbringer bekannt – Synergieprogramme greifen, zeigt die Schärfe der Lage.
Verunsicherung in der Belegschaft
Für die knapp 9.000 Mitarbeitenden von Swiss bedeutet die Ankündigung ein Klima der Unsicherheit. Zwar sind Kündigungen offiziell nur „letzte Maßnahme“. Doch die Erfahrung lehrt: Wenn Aufgaben einmal abgezogen sind, dauert es nicht lange, bis Arbeitsplätze folgen.

Schon in der Vergangenheit hat Lufthansa bei Tochtergesellschaften den Personalstamm reduziert, indem man Tätigkeiten zentralisierte. Die Gewerkschaften in der Schweiz reagieren entsprechend nervös. Erste Stimmen sprechen von einer „schleichenden Aushöhlung“ des Standortes Zürich.
Märkte reagieren sensibel
Auch der Kapitalmarkt zeigt sich aufmerksam. Zwar war das Minus der Lufthansa-Aktie am Montag mit 0,7 Prozent auf 7,44 Euro gering. Doch Analysten verweisen auf ein tieferes Problem: Jede Verunsicherung bei der profitablen Swiss schwächt die Konzernstory, die auf Stabilität der Töchter baut.
Anleger fragen sich, ob die Synergien tatsächlich so viel Ersparnis bringen – oder ob der Konzern langfristig Markenwert und Kundenvertrauen aufs Spiel setzt.
Die politische Dimension
Nicht zu unterschätzen ist die politische Ebene. Swiss gilt in der Schweiz als nationale Airline, auch wenn sie längst Teil des Lufthansa-Imperiums ist. Jeder Schritt, der als Schwächung des Standortes Zürich interpretiert wird, hat das Potenzial, politische Reaktionen auszulösen.
Schon jetzt gibt es Diskussionen, ob Bern im Ernstfall eingreifen müsste, um Arbeitsplätze oder Infrastruktur zu schützen. Fehlingers jüngste US-Reise, bei der er auch über mögliche Boeing-Importe über die Schweiz sprach, dürfte in diesem Kontext kaum zufällig gewesen sein: Ein Signal, dass Swiss als Tor zur Welt weiterhin Bedeutung hat.
Mehr als nur ein IT-Projekt
Die Verlagerung von Aufgaben nach Frankfurt ist mehr als ein organisatorischer Akt. Sie ist ein Prüfstein für das Verhältnis zwischen Lufthansa und ihrer Schweizer Tochter – und für die Glaubwürdigkeit der Versprechen, die Eigenständigkeit zu wahren. Für die Belegschaft bedeutet es vor allem eines: Ungewissheit. Und für den Konzern ist klar: Der Spagat zwischen Effizienz und Identität wird zum entscheidenden Test.
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