Der Fall, der Lidl teuer zu stehen kommt, beginnt mit einem Versprechen: Niedrige Preise auf begehrte Aktionsware – doch in vielen Filialen blieb das Regal leer.
Zwischen 2017 und 2023 strahlte der deutsche Discounter rund 370 TV-Werbespots in Frankreich aus, die vermeintliche Schnäppchen bewarben. Laut Berufungsgericht Paris handelte es sich dabei um systematische Irreführung, denn: Die angepriesenen Produkte waren nicht flächendeckend verfügbar – und das über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren.
Lockvogelprinzip mit System
Was auf den ersten Blick wie ein klassisches Marketingproblem wirkt, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als strukturelle Praxis, mit der Lidl offenbar den Wettbewerb aushebelte.
Laut Urteil war sich das Unternehmen der begrenzten Verfügbarkeit durchaus bewusst – machte jedoch dennoch landesweite Werbung für die Produkte. Der Vermerk in den Spots, dass die Artikel nicht überall erhältlich seien, war den Richtern zufolge zu diskret – und im digitalen Kleingedruckten versteckt.
Für das Gericht ist klar: Lidl verschaffte sich damit einen unfairen Wettbewerbsvorteil, insbesondere gegenüber der französischen Konkurrentenkette Intermarché, die letztlich auch Klägerin in diesem Verfahren war. Die Richter sahen einen klaren Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht und verhängten eine Strafe von 43 Millionen Euro.

Der Kampf der Discounter – mit ungleichen Mitteln?
Die Summe ist hoch, aber sie steht in keinem Vergleich zu dem potenziellen Umsatzplus, das Lidl durch das sogenannte „Lockvogel-Marketing“ über die Jahre eingefahren haben könnte.
Denn Aktionsware in der Werbung erzeugt Kundenfrequenz – auch wenn die Produkte selbst nicht verfügbar sind. Für viele Verbraucher endet der Einkauf dann eben mit anderen Artikeln im Wagen – und einer stillschweigenden Enttäuschung. Diese Strategie trifft besonders kleinere oder regional gebundene Wettbewerber, die nicht über das gleiche Werbebudget oder Filialnetz verfügen.
Intermarché ließ das nicht auf sich sitzen und klagte – mit Erfolg. Es ist ein bemerkenswerter Präzedenzfall im französischen Einzelhandel, der weit über Lidl hinausreicht.
Image-Schaden made in Germany
Für Lidl ist das Urteil ein doppelter Rückschlag: Neben der finanziellen Belastung droht dem Discounter ein Imageschaden in einem seiner wichtigsten Auslandsmärkte. Frankreich gilt für Lidl als Vorzeigemarkt, mit rund 1.600 Filialen und Milliardenumsätzen.
Das Land ist nach Deutschland der zweitgrößte Lidl-Markt weltweit. Umso sensibler sind Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht – besonders in einem Umfeld, das ohnehin von wachsendem Misstrauen gegenüber global agierenden Handelsriesen geprägt ist.
In einer Zeit, in der Konsumenten Transparenz, Fairness und Verlässlichkeit einfordern, wirkt das Vorgehen von Lidl rückwärtsgewandt – und riskant. Zwar hat sich der Discounter in jüngster Vergangenheit öffentlich zu klareren Preisangaben verpflichtet und seine App-Werbung angepasst, doch der juristische Nachhall früherer Kampagnen bleibt bestehen.
Auch andere Handelsketten im Visier?
Der Fall wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie häufig arbeiten Handelsketten mit derartigen Lockangeboten, bei denen der Kunde am Ende leer ausgeht? Wie gut sind die bestehenden Regeln gegen irreführende Werbung tatsächlich durchsetzbar? Und: Muss das Wettbewerbsrecht auf europäischer Ebene stärker harmonisiert werden?
Der französische Richterspruch sendet ein deutliches Signal: Verbraucher sind kein Spielball der Werbestrategen – und Wettbewerb kein rechtsfreier Raum. Auch wenn 43 Millionen Euro für einen Konzern wie Lidl verkraftbar erscheinen mögen, ist der Imageschaden schwerer zu beziffern.
Zumal die Affäre zur Unzeit kommt: Der Konkurrenzdruck im europäischen Einzelhandel steigt, das Vertrauen der Kunden ist fragiler denn je – und Lidl befindet sich inmitten eines aufwendigen Markenumbaus.
Kein Einzelfall – und sicher kein Ausrutscher
Lidl war in der Vergangenheit bereits mehrfach Ziel von Kritik: Undurchsichtige Rabattaktionen, irreführende App-Angebote, problematische Arbeitsbedingungen. Dass nun ein französisches Gericht das Geschäftsgebaren in dieser Deutlichkeit rügt, zeigt: Es geht nicht mehr um Einzelfälle – es geht um Prinzipien.
Die Entscheidung könnte also mehr sein als ein teures Kapitel in der Bilanz – sie ist ein Wendepunkt in der Debatte um Transparenz im Handel. Ein Urteil, das auch Aldi, Carrefour, Rewe & Co. nicht ignorieren können.
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