15 Millionen Euro. So viel soll Quantum Systems Insidern zufolge für Fernride zahlen. Weniger, als Investoren noch Monate zuvor in das Start-up gesteckt haben. Und weit entfernt von den Ambitionen, mit denen Fernride noch im Sommer auftrat.
Was sich in wenigen Wochen vollzog, ist kein Einzelfall. Es ist ein Lehrstück über Abhängigkeiten, Machtverschiebungen und Fehlkalkulationen – in einer Szene, die jahrelang an Wachstum glaubte und nun am Kapitalmangel leidet.
Ein Sommer voller Zuversicht, ein Herbst der Ernüchterung
Im Juli klang Fernride nach Zukunft. Gründer Hendrik Kramer präsentierte fahrerlose Lkw in einem estnischen Hafen, TÜV-zertifiziert, ferngesteuert, einsatzbereit. 18 Millionen Euro frisches Kapital kamen hinzu, dazu die Ankündigung, neben der Hafenlogistik auch in den Verteidigungssektor zu gehen.
Rückblickend war das der Höhepunkt. Intern stand das Geschäftsmodell bereits auf der Kippe. Die Hafenlogistik – bislang das Kerngeschäft – drohte wegzubrechen. Ohne Großauftrag, ohne Skalierung, ohne Aussicht auf kurzfristige Umsätze.
Zwei Welten der Start-up-Ökonomie
Der Kontrast könnte kaum größer sein. Während Fernride ums Überleben kämpfte, wuchs Quantum Systems rasant. Der Drohnenspezialist profitiert von steigenden Verteidigungsausgaben und KI-Fantasien. Für 2025 wird ein Umsatz von rund 275 Millionen Euro erwartet, die jüngste Finanzierungsrunde bewertete das Unternehmen mit über drei Milliarden Euro. Ein Börsengang 2026 gilt als realistisch.
Fernride hingegen war abhängig – von Investoren, von Pilotprojekten, vor allem von einem strategischen Partner.

Die riskante Wette auf einen Großkonzern
Diese Rolle sollte die Hamburger Hafen und Logistik AG übernehmen. Über ihre Innovationseinheit HHLA Next war der Konzern früh bei Fernride eingestiegen. Ein Pilotprojekt in einem Hafen bei Tallinn lief erfolgreich, eine Ausweitung nach Hamburg schien möglich. Für Fernride wäre das der Durchbruch gewesen – operativ wie finanziell.
Doch die Entscheidung zog sich. Intern soll es bei HHLA unterschiedliche Auffassungen gegeben haben. Während die damalige Vorstandschefin Angela Titzrath das Projekt unterstützte, soll es auf operativer Ebene Widerstand gegeben haben. Als Titzrath im September ging, fehlte Fernride der wichtigste Rückhalt.
HHLA betont, Fernride habe das Projekt selbst beendet. Insider auf beiden Seiten halten diese Darstellung für verkürzt. Faktisch blieb ein verbindlicher Großauftrag aus – und damit die Grundlage für eine neue Finanzierungsrunde.
Investoren übersahen Warnsignale
Trotzdem sammelte Fernride im Sommer weiteres Kapital ein. Die Bewertung: rund 185 Millionen Euro inklusive Investment. Einer der neuen Geldgeber war der junge Fonds Helantic, der Fernride sogar als Vorzeigeinvestment auswählte.
Im Nachhinein wirkt das erstaunlich. Die Gesellschafterliste zeigte bereits damals ein Problem: Gründer und Management hielten zusammen weniger als 25 Prozent der Anteile. Für ein Unternehmen in dieser Phase ist das ungewöhnlich niedrig – und für erfahrene Investoren ein Warnsignal.
Mehrere unabhängige Kapitalgeber sagen heute: In dieser Struktur hätte man nicht investieren dürfen. Das Geschäftsmodell war kapitalintensiv, die Abhängigkeit von Einzelkunden hoch, die Verhandlungsposition schwach.
Der Käufer erkannte die Gelegenheit
Als im Herbst klar wurde, wie angespannt die Lage ist, begann Quantum Systems Gespräche über eine Übernahme. Für Quantum war Fernride strategisch interessant: Know-how für ferngesteuerte Fahrzeuge, ein Schritt von der Luft auf Land und See, relevant für militärische Anwendungen.
Das erste Angebot kam, als Quantum selbst noch mit rund einer Milliarde Euro bewertet war. Später – nach Abschluss der eigenen Finanzierungsrunde – lag die Bewertung bei drei Milliarden. Für Fernride-Investoren entstand kurzfristig die Hoffnung, Verluste durch einen Aktientausch auszugleichen.
Doch der Prozess zog sich. Verhandlungen stockten, Unsicherheiten blieben. Am Ende stand kein strategischer Schulterschluss auf Augenhöhe, sondern ein Rettungsverkauf.

Ein Deal mit vielen Verlierern
Die Eckdaten zeigen die Schieflage. Rund 15 Millionen Euro fließen an Gründer und Investoren, etwa die Hälfte davon in Aktien von Quantum. Mitarbeitende sollen Anteile im Wert von rund zehn Millionen Euro erhalten – ein Zugeständnis, das den sozialen Schaden abfedern soll.
Für frühe Investoren gibt es einen kleinen Trost: einen „Karmapool“ von 500.000 Euro, den Kramer ausgehandelt haben soll. Für institutionelle Geldgeber bleibt die Hoffnung, dass ein Börsengang von Quantum die Verluste zumindest teilweise ausgleicht.
Für HHLA ist der Ausgang besonders unerquicklich. Der Konzern soll aus dem Verkauf rund 1,5 Millionen Euro in bar erhalten – ein Bruchteil dessen, was ein erfolgreicher Technologieeinsatz gebracht hätte.
Ein Lehrstück für den Standort Europa
Der Fall Fernride zeigt, wie fragil das europäische Start-up-Ökosystem geworden ist. Kapital ist knapp, strategische Partner zögern, politische Großthemen wie Verteidigung ziehen Mittel ab. Wer keinen klaren Umsatzpfad hat, gerät schnell unter Druck.
Fernride überlebt – als Teil eines anderen Unternehmens, unter anderen Vorzeichen. Der Börsentraum ist vorbei. Geblieben ist eine Geschichte, die viele Gründer und Investoren kennen dürften: Hohe Erwartungen, lange Abhängigkeiten, wenig Spielraum, wenn sich das Umfeld dreht.



