Ein Rechenzentrum für Europa – oder für das US-Recht?
Amazon investiert in Deutschland. Genauer: in Brandenburg. Genauer noch: 7,8 Milliarden Dollar für neue Rechenzentren und eine „souveräne Cloud“ für Europa. Der US-Konzern hat Großes vor.
Eine eigene GmbH in Potsdam, ein europäisches Führungsteam, technologische Abschottung vom US-Mutterkonzern – so lautet das Versprechen. Die Daten der europäischen Kunden sollen ausschließlich innerhalb der EU gespeichert und verarbeitet werden. Ohne Zugriff von außen. Vor allem: ohne Zugriff aus Übersee.
Das klingt gut. Das klingt nach einem Schritt Richtung digitaler Selbstbestimmung. Nur leider ist es das nicht.
Die Technik bleibt amerikanisch – genau wie das Gesetz
Denn so unabhängig sich die neue Struktur auf dem Papier liest – sie basiert auf Technik, die nach wie vor aus den USA stammt. Und die unterliegt US-Recht.
Der sogenannte CLOUD Act aus dem Jahr 2018 erlaubt es US-Behörden, auf Daten zuzugreifen – auch wenn diese außerhalb der USA liegen, solange der Betreiber in den USA sitzt. Das ist bei Amazon der Fall. Egal, ob die Daten in Potsdam, Prenzlau oder Paris gespeichert werden: Der Zugriff bleibt möglich.
Souveränität sieht anders aus. Sie beginnt nicht beim Logo auf dem Briefkopf, sondern bei der Kontrolle über Infrastruktur und Code.
Wenn die Bundesregierung auf die falsche Karte setzt
Noch absurder wird es, wenn man sieht, wie sehr sich die Bundesregierung an diese scheinbar souveränen US-Anbieter klammert. Die Bundeswehr etwa baut ihre Cloud künftig gemeinsam mit Google.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) kooperiert mit dem US-Konzern. Und auch Microsoft ist im Spiel – über die Delos GmbH betreibt der Software-Riese die Azure-Cloud für die deutsche Verwaltung.
Die Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren ihre Ausgaben für Cloud-Dienste verdoppelt – fast ausschließlich bei US-Firmen. Von 32 gebuchten Cloud-Diensten stammte ein einziger von einem Anbieter, bei dem die Daten so verschlüsselt waren, dass dieser sie nicht selbst lesen konnte.
Europäische Anbieter? Kaum sichtbar
Dabei gäbe es Alternativen. OVH aus Frankreich, United Internet, Telekom-Tochter „Digits“. Sie alle bieten souveräne Cloud-Lösungen an – doch sie bleiben außen vor.
Laut einer Analyse von Synergy Research halten Amazon, Microsoft und Google inzwischen rund 72 Prozent Marktanteil am europäischen Cloud-Markt. Die europäische Cloud bleibt Nebensache – selbst in Europa.
Die Gründe sind nicht nur technischer Natur. Es geht auch um Marketing, Komfort, politische Feigheit. Wer AWS bucht, bekommt eine Lösung von der Stange. Wer einen europäischen Anbieter wählt, muss sich entscheiden. Und Verantwortung übernehmen.
Die Souveränität der GmbH – ein Etikettenschwindel
Amazon weiß, wie man Vertrauen verkauft. Eine europäische Tochtergesellschaft mit europäischem Personal, eine lokale Geschäftsführung, ein Datenschutzbeauftragter aus der EU – all das gehört zum neuen Konzept der „European Sovereign Cloud“.
Doch das Konstrukt erinnert an frühere Versuche von Microsoft und Google, über deutsche GmbHs den Anschein von Unabhängigkeit zu erzeugen.
Technisch bleibt es dabei: Die Hardware kommt aus den USA, die Software ebenfalls. Wer die Technologie baut, kontrolliert sie auch. Daran ändert keine europäische Geschäftsadresse etwas.
Keine Exit-Strategie, kein Plan B
Was passiert, wenn die politische Lage kippt? Wenn Washington morgen neue Exportregeln erlässt oder Cloud-Zugriffe zur außenpolitischen Waffe macht? Die EU, die Bundesregierung, selbst die Bundeswehr – niemand hat derzeit einen Plan B. Man verlässt sich auf Zusicherungen. Auf juristische Konstruktionen. Auf den guten Willen.
Eine echte Exit-Strategie? Fehlanzeige.
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