Kaum ein Name steht in Deutschland so sehr für versagende Kontrolle wie Wirecard. Bilanzbetrug über Jahre, verpasste Warnsignale, Einschüchterung von Kritikern – und mittendrin zwei Behörden: Ernst & Young (EY) als verantwortlicher Wirtschaftsprüfer.
Und die BaFin, die statt zu kontrollieren lange wegsah. Fünf Jahre nach dem Kollaps des DAX-Konzerns ist EY offiziell sanktioniert – und trotzdem weiter im Auftrag der BaFin tätig. Ein Vorgang, der nicht nur irritiert, sondern neue Fragen aufwirft: über Vergabepraxis, Kontrollversagen und die politische Leerstelle zwischen Anspruch und Realität.
Die vergessene Grenze
EY darf seit März 2024 keine neuen Prüfmandate für börsennotierte Unternehmen mehr annehmen. So lautet die Auflage der Wirtschaftsprüferaufsicht APAS, die dem Konzern neben einer Geldstrafe von 500.000 Euro auch „gravierende Berufspflichtverletzungen“ attestierte.
Dennoch taucht EY weiterhin auf der Liste von Prüfern auf, die im Auftrag der BaFin tätig sind – etwa bei Sonderprüfungen oder der Überwachung kleinerer Finanzinstitute. Der Marktverweis gilt nicht für alle Mandate. Doch genau darin liegt das Problem.
Ein behördliches Paradoxon
Die APAS verbietet EY den Einstieg in neue Prüfungen an den Kapitalmärkten – ausgerechnet wegen des Wirecard-Skandals. Gleichzeitig vergibt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) weiter Aufträge an den Konzern, der einst die gefälschten Bilanzen des Betrugsunternehmens Jahr für Jahr abnickte.

Die Begründung klingt formelhaft: Man sei „gesetzlich verpflichtet, das wirtschaftlichste Angebot“ zu wählen, teilt ein Sprecher mit.
Die Definition des „wirtschaftlichsten Angebots“ umfasst laut Gesetz auch das Preis-Leistungs-Verhältnis – nicht nur den günstigsten Preis. Wer das bewertet, wie das gewichtet wird und warum Sanktionen der APAS dabei offenbar keine Rolle spielen, bleibt unbeantwortet.
Politischer Druck wächst
Der Fall erreicht inzwischen auch die politische Ebene. Fabio De Masi, früher Bundestagsabgeordneter, heute Europaabgeordneter für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), nennt die Praxis „unverantwortlich“ und fordert eine Verschärfung des Vergaberechts.
Sanktionierte Prüfer wie EY müssten temporär vollständig ausgeschlossen werden, sagt er.
„Es geht nicht nur um Vertrauen, sondern auch um Marktstruktur.“
Der Markt der Wirtschaftsprüfung sei längst ein Oligopol – dominiert von EY, KPMG, Deloitte und PwC. Gerade kleinere Behörden wie die BaFin könnten mit der Öffnung zu mittelständischen Prüfern mehr Wettbewerb schaffen.
Das Monopol der vier Großen
Tatsächlich ist die Marktmacht der „Big Four“ im deutschen Prüfungswesen ein strukturelles Problem. Laut Branchenanalysen teilen sich EY, PwC, KPMG und Deloitte fast den gesamten DAX-Prüfungsmarkt.
Viele Behörden und Unternehmen greifen aus reiner Gewohnheit oder mangelnder Alternativen immer wieder auf dieselben Akteure zurück. Selbst nach nachgewiesenen Pflichtverletzungen – wie im Fall Wirecard – ändert sich an dieser Praxis wenig.
Ein Grund: Die behördliche Kapazität reicht oft nicht aus. Die BaFin und auch die Deutsche Bundesbank verfügen nicht über genug Personal, um selbst tiefgehende Sonderprüfungen bei Finanzunternehmen durchzuführen.
Deshalb vergeben sie regelmäßig externe Mandate – meist an große, erfahrene Prüfer. So kommt es, dass trotz aller politischen und regulatorischen Aufarbeitung die Akteure von damals auch die Prüfer von heute bleiben.
EY schweigt – wie immer
Auf Nachfrage zur Mandatsvergabe will sich EY nicht äußern. „Aus Vertraulichkeitsgründen“ könne man keine Einzelheiten zu Kunden oder laufenden Aufträgen nennen, so ein Sprecher.
Dass EY zuletzt keine neuen DAX-Mandate gewinnen durfte, ist allerdings bekannt – das Verbot gilt noch bis 2026. Bis dahin bleibt das Unternehmen faktisch ein geächteter Marktführer mit öffentlichem Segen.
Der Imageschaden bleibt – nicht nur bei EY
Dass der Name EY nach wie vor bei Bundesbehörden als Auftragnehmer auftaucht, zeigt: Die Lehren aus dem Wirecard-Desaster sind halbherzig gezogen worden. Die BaFin, die sich selbst Reformen und neue Strukturen verordnet hat, lässt in der Praxis zu, dass das System von früher weiterläuft – mit denselben Gesichtern, denselben Netzwerken, denselben Lücken.
Ein Sprecher der Behörde berief sich auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ und lehnte eine konkrete Aussage über EY ab. Doch die politische Wirkung ist längst da. Der nächste Skandal dürfte nicht lange auf sich warten lassen – die Strukturen dafür stehen.
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