Die Erfolgsstory mit Sollbruchstelle
Siemens hat sich in den vergangenen Jahren neu erfunden. Nach der Abspaltung von Energie- und Medizintechnik konzentriert sich der Konzern auf Industriesoftware, Automatisierung und Digitalisierung – mit zweistelligen Margen in fast allen Bereichen.
Der Aktienkurs hat sich binnen fünf Jahren mehr als verdoppelt, Investoren feiern den Umbau als Musterbeispiel deutscher Industrie-Transformation.
Doch der Glanz hat Risse: Die Sparte „Digital Industries“, Herzstück der neuen Siemens-Welt, verfehlt mit 15,4 Prozent Marge deutlich das eigene Zielband von 17 bis 23 Prozent. Hauptgründe: schwache E-Auto-Nachfrage, die Abkühlung der chinesischen Konjunktur und der Zollstreit mit den USA.

Rosskur im Kerngeschäft
Roland Busch reagiert mit einem straffen Restrukturierungsprogramm. Schlüsselpositionen im Management werden neu besetzt, weltweit sollen 5.600 Stellen bei Digital Industries wegfallen – knapp 2.500 davon in Deutschland. Die Botschaft ist klar: Höhere Effizienz, weniger Kosten, schnellere Anpassung an die Marktlage.
Intern ist der Kurs umstritten. Viele Mitarbeiter sehen die angestrebten Margen von über 20 Prozent als unrealistisch – zumal die Kundenseite, allen voran die Autoindustrie, den Fuß vom Gas nimmt.
Euphorie der E-Mobilität weicht Ernüchterung
Jahrelang trieben die Investitionen in neue E-Auto-Produktionslinien Siemens’ Automatisierungsgeschäft an. Jetzt bremst die Realität. In der EU liegen die Autoverkäufe noch immer fast ein Fünftel unter dem Vorkrisenniveau, der E-Auto-Anteil in Deutschland dümpelt bei 16,7 Prozent.
Hersteller wie VW streichen Projekte und planen massiven Stellenabbau. Für Siemens bedeutet das weniger Neuanlagen, mehr Umrüstungen – und härteren Wettbewerb. Rivalen wie Bosch drängen mit eigenen Industrie-4.0-Lösungen in den Markt, oft mit Preis- und Anwendungsvorteilen.
Technologie-Offensive mit ungewissem Ausgang
Das neue Siemens-Flaggschiff, die „virtuelle Industriesteuerung“ aus der Cloud, soll Produktionsanlagen flexibler, sicherer und effizienter machen. Erste Pilotprojekte laufen bei Audi und BMW.

Doch der Rollout hängt an der Investitionsbereitschaft der Industrie – und die ist derzeit von Vorsicht geprägt. Finanzchef Ralf Thomas sieht ab dem zweiten Halbjahr 2025 erste Anzeichen für eine Erholung. Portfoliomanagerin Maria Mihaylova spricht von „vereinzelten positiven Signalen“, warnt aber vor einem extrem fragilen Umfeld.
Die offene Flanke eines Musterschülers
Siemens bleibt ein Schwergewicht mit exzellenter Marktstellung. Doch die Abhängigkeit vom Automobilsektor und die Unsicherheiten im globalen Handel machen ausgerechnet die Parade-Sparte anfällig.
Die nächsten Quartale werden zeigen, ob Buschs Sanierungskurs die versprochene Dynamik bringt – oder ob die „Boost-Taste“ des Konzerns auf halber Strecke verhallt.
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